Die Tore zur Unterwelt 3 - Verräterische Freunde: Roman (German Edition)
einer von ihnen. Und das auch nur mit Katarias Hilfe.
»Ich bin deinetwegen zurückgekommen«, stöhnte Lenk.
»Und? Soll ich dich dafür küssen, oder was?«, fauchte sie ihn an, während sie ihren Gürtel aus den Schlaufen ihrer Hose zog.
»Also …«
»Nein.«
»Oh.« Er zuckte zusammen, als sie den Gurt um seine Schulter schlang und geschickt eine improvisierte Armschlinge fertigte. »Ich glaube allerdings nicht, dass das viel nützen wird.«
»Hast du eine bessere Idee?«
»Nein, die Idee ist gut. Aber ich meinte …«
» AKH ! ZEKH ! LAKH !«
Das Langgesicht griff sie an, sprang über den Körper eines von Gift betäubten Abysmyths. Aber sie landete nicht auf dem Boden. Ein Tentakel von der Größe eines Baumstamms zischte aus der Dunkelheit heran, riss sie in die Luft und verwandelte ihren Schlachtruf in einen verzweifelten Schrei, als er sie in die Fluten zog.
Aus den Schatten zuckten noch mehr Tentakel, schnappten sich die Langgesichter auf dem Fels. Sie schwangen die laut Kreischenden hoch in die Luft, zerquetschten sie in ihren fleischigen Schlingen und zogen sie aus der Dunkelheit in die Schwärze hinab.
Aller Schmerz verschwand, alle Qualen waren vergessen, als das Wasser rauschend hochspritzte und Ulbecetonth sich erhob.
»Genau, das meinte ich.«
Wie ein Kind aus dem Leib der Hölle kam sie in die Welt, bleich und schreiend. Die Schatten glitten wie Tränen von ihrem Leib, der ebenso riesig und kalt war wie der ihrer Statuen. Die Schatten schienen sie nur zögernd zu verlassen, als sie sich hoch über den Wogen aufrichtete. Muscheln und kleine Krebse wucherten auf einer Haut, die so blass war, dass sie durchscheinend wirkte. Korallen in makellosen Regenbogenfarben bedeckten ihren Wanst. Kreaturen mit vielen Beinen und vielen Augen krabbelten über sie hinweg, in den Schatten ihres Nabels, über ihre hängenden Brüste, in einen weit aufklaffenden Mund, der mit knochenweißen gezackten Zähnen gespickt war, oder daraus hervor.
Lenks starrer Blick glitt über sie hinweg, unfähig, irgendeinen Körperteil von ihr längere Zeit anzusehen, und ebenso unfähig, sich von ihr abzuwenden. Schließlich richtete sich sein Blick wie magisch angezogen auf das helle Gold eines einzelnen Auges. Es brannte mit einem solchen Hass, dass er sich nicht abwenden konnte, verlangte, dass er hineinblickte, bis er sah, wie sich sein Sterben in ihm widerspiegelte.
Sie öffnete den Mund noch weiter, und ihr blubbernder Schrei klang wie der von tausend ertrinkenden Jungfrauen. Die Tränen der Schatten und die vielen Kreaturen fielen von ihrem Körper.
Lenk spürte, wie er sich in Bewegung setzte.
»Komm, nun komm endlich!« Kataria umschlang ihn mit beiden Armen, versuchte gleichzeitig, ihn vom Boden hochzuheben und ihn wegzuziehen. »Wir müssen hier verschwinden.«
»Das geht nicht.« Er antwortete aus einem Reflex. Es war seine Stimme, auch wenn sie es eigentlich nicht hätte sein sollen. »Wir können davor nicht weglaufen.«
»Ich habe das selbst gesagt und auch so gemeint!«, knurrte sie. »Aber da dachte ich noch, wir hätten die Fibel zur Verfügung, bevor es zu dem hier kommt. Jetzt müssen wir flüchten.«
»Das geht nicht. Ulbecetonth kennt keine Grenzen«, antwortete Lenk. »Als wir unten im Schlund waren, habe ich sie gesehen. Sie haust in der Tiefe unter dieser Insel. Sie ist das Blut dieses Landes. Wir können ihr nicht so einfach entkommen.« Er sah Kataria in die Augen. »Jedenfalls nicht wir beide.«
»Das werden wir auch nicht tun«, erwiderte sie und deutete auf einen Durchgang, der sich in ihrer Nähe befand. »Wir werden dorthin laufen. Wir werden immer weiterlaufen. Wir werden so lange laufen, bis wir an einen Ort gekommen sind, an dem wir uns verstecken und uns etwas anderes überlegen können.«
»Das schaffen wir nicht«, widersprach er. »Keiner von uns kommt hier heraus, es sei denn …«
»Sag das jetzt nicht. Du sagst so etwas immer nur dann, wenn du vorhast, irgendetwas schrecklich Dummes anzustellen.«
»Dafür ist es viel zu spät.«
Er riss sich aus Katarias Griff los und rannte, ehe sie ihn erneut packen konnte. Er warf sich ins Wasser und verschwand in der Dunkelheit der Wogen, noch bevor sie ihn anschreien und dazu bringen konnte, darüber nachzudenken, was für eine Dummheit zur Hölle er jetzt wieder beging.
Aber er hatte keine Zeit zum Denken. Denken war fehl am Platze, wo es um Pflichterfüllung ging.
Nur hatte er nicht die geringste Ahnung, was er vorhatte.
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