Die Tore zur Unterwelt 3 - Verräterische Freunde: Roman (German Edition)
Moment über ihm auf.
Das ist schon besser.
»Du solltest doch weglaufen«, sagte er schwach.
»Wohin?«, wollte sie wissen.
»Irgendwo anders hin.«
»Es gibt kein irgendwo anders.«
Er hörte, wie die Decke über ihm krachte. Um sie herum rissen immer mehr Stalaktiten neue Wunden in die Erde, und immer mehr silberne Wassersäulen ergossen sich in das Wasser. Es ertränkte den Stein, den Felsvorsprung, die Statuen, die Durchgänge. Sie alle verschwanden, als das Wasser in schwarzen und silbernen Wellen anstieg. Lenk fühlte, wie er emporgehoben wurde, als Ulbecetonth sich ein wenig hob. Und dann wieder sank.
Sie atmete.
Sie lebte noch.
»Ich sollte dir keinen Vorwurf machen.« Ihre Stimme rumpelte unter ihm. Lenk drehte sich um und begegnete dem Blick eines einzelnen Auges, das ihn anstarrte. Groß und weiß, mit einer goldenen Iris saß es in schwarzer Haut. »Du hast das getan, was du tun solltest, so wie es deine Rasse damals auch getan hat, ihr, die ihr auf euren eigenen Vater gehört habt.«
Wasser trat ihr in das Auge. Das Wasser war weder silbern noch schwarz.
»Vielleicht wolltest du nur jene beschützen, die du liebst. Vielleicht wolltest du beweisen, dass ich mich geirrt habe. Vielleicht wirst du das auch noch tun. Ich sollte dich nicht hassen.«
Ihre Stimme klang heiser in den Dampfwolken.
»Meine Kinder haben keine Mutter mehr. Ich habe keine Kinder. Ich hoffe, du lebst dein Leben gut, Lenk. Und ich hoffe, dass ich in der Hölle auf dich warten werde, in die du nach deinem eigenen Tod hinabsteigst.«
Das Wasser hob sie mit der steigenden Flut an, brachte sie der sterbenden Erde näher. Lenk lag immer noch auf ihrem Körper. Sie atmete nicht mehr. Trotz des Dampfes, trotz des Blutes war ihm kalt.
»Mutter?« Es war eine schwache, zitternde Stimme. »Mutter.«
Er blickte auf und sah das Abysmyth, das zu Ulbecetonths Leiche watete. Es legte seine Klauen auf sie, versuchte ihren riesigen Körper zu schütteln.
»Mutter«, sagte es flüsternd. Das silberne Wasser spritzte auf seine Haut, die dampfte und verbrannte wie die seiner Mutter. Die Monstrosität achtete nicht darauf. »Mutter, wach auf.«
»Bitte, Mutter, bitte wach auf.« Weitere Dämonen gesellten sich zu ihm, weitere Hände legten sich auf sie, weitere Stimmen flehten die Tote an. »Mutter, bitte, verlass mich nicht.«
»Es tut weh, Mutter, bitte nicht …«
»… Mutter, ich will das nicht fühlen, nie wieder, Mutter, bitte …«
»… wir haben Erfolg gehabt, Mutter, wir haben das Buch, du kannst …«
»… Vater wartet draußen, Mutter, bitte, du musst …«
»… Mutter …«
»… bitte …«
»… ich habe Angst …«
»… Mutter …«
Ihr Fleisch verwandelte sich in Dampf, ihre Klauen verwandelten sich in Knochen, ihre Stimmen in Asche. Als das Wasser sie ganz allmählich, Stück für Stück, zerstörte, blieben nur ihre Ängste übrig, ihr Flüstern, ihre Knochen. Schließlich legten sie ihre toten Schädel auf Ulbecetonths Leichnam. Dort blieben sie liegen, still und friedlich.
»Ich habe sie getötet«, flüsterte Lenk. »Sie alle. Und sie .«
»Ja«, bestätigte Kataria. Sie schlang ihre Arme um ihn, zog ihn an sich. Er spürte, wie sein Lebenssaft sich auf ihrer Haut verteilte. »Das hast du.«
Er hob die Hand und verschränkte seine Finger mit ihren. »Du lebst noch.«
»Ja.« Ihr Griff wurde fester. Er drückte sie, bis ihre Hand aufhörte zu zittern, und sie spürte, dass noch Leben in seinem Arm war. »Ich lebe noch.«
Er fühlte ihren Atem auf seiner Haut. Er spürte ihren Herzschlag durch ihre Hände. Ihr Haar strich sanft über das Blut auf seinem Gesicht. Er fühlte sich warm.
»Ich wünschte, ich hätte etwas Besseres zu sagen«, sagte er.
»Zerbrich dir darüber nicht den Kopf.«
Sie blickten an die Decke. Der Stein und die Erde waren verschwunden. Nur große Dampfwolken waren von Ulbecetonth und ihrer Brut übrig geblieben. Und das Wasser, das immer noch in Strömen und Bächen herabstürzte.
»Ziemlich hübsch«, sagte Kataria und zog ihn dichter an sich.
»Ja.«
Langsam wurden sie hinaufgetragen. Empor zu dem, was für sie beide dem Himmel am nächsten kommen sollte.
Getragen von einem endlosen Blau.
34
DER REST
Er wog weniger, als sie erwartet hatte, wie sie verblüfft registrierte. Sie hatte ihn unbekleidet gesehen, und er war ihr immer sehr kräftig vorgekommen, ein stattlicher Mann. Jetzt jedoch spürte sie seine Rippen durch sein Wams, hörte sein schwaches Atmen und sah die
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