Die Tortenbäckerin
hin.
»Willst du da bis morgen hocken bleiben, oder können wir weitermachen?« Die Stimme ihrer Tante war jetzt so schneidend wie das schärfste Messer in der Küche.
Mit einem leisen Ãchzen richtete Greta sich wieder auf. Sie war seit dem Morgengrauen auf den Beinen, und trotz ihrer Jugend spürte sie nach einem langen, harten Arbeitstag jeden Knochen in ihrem schmalen Körper.
»Ich verstehe nicht«, sagte sie, »warum die Herrschaft nicht schon lange einen Gasherd angeschafft hat. Oben im Haus haben sie in allen Räumen Gaslicht. Nur wir hier unten müssen uns noch mit Kohle plagen. Aber in der Beletage wollen sie bald sogar diese neumodische Sache, die Elektrizität, anschaffen.« Sie war stolz darauf, das schwierige Wort einwandfrei herausgebracht zu haben, und merkte zu spät, dass sie einen viel schlimmeren Fehler begangen hatte.
Mathilde, die fünfzig Pfund mehr wog als ihre Nichte und einen ganzen Kopf gröÃer war, stemmte die Fäuste in ihre nur unzureichend geschnürte Taille. »Soso. Und woher willst du so etwas wissen?«
»Habe ich halt gehört.« Greta wandte sich ab und sah, wie die beiden Küchenmädchen Marie und Paula tuschelnd am anderen Ende der Küche die Köpfe zusammensteckten. Sie waren beide blond, und mit ihren runden Gesichtern und rosigen Wangen hätten sie Geschwister sein können, stammten aber aus entgegengesetzten Orten des Kaiserreiches. Marie war vor vielen Jahren mit ihrer Familie aus München nach Hamburg gezogen, Paula stammte aus Königsberg und hatte polnische Vorfahren. Trotzdem verstanden sich die beiden prächtig, vor allem, wenn es darum ging, über die Herrschaft oder wenigstens über die höhergestellten Bediensteten zu tratschen. Im Augenblick waren sie damit beschäftigt, auf dem riesigen Eichenholztisch einen Eisblock in kleine Stücke zu hacken. Marie, die etwaskräftiger war, machte die grobe Arbeit, Paula schaufelte mit rotgefrorenen Händen die Eissplitter in eine Kristallschüssel. Auf die kalte Unterlage kamen später die Dessertschälchen mit roter Grütze und VanillesoÃe. Sie waren fleiÃige Mädchen, aber manchmal bekamen sie das Nudelholz der Mamsell zu spüren, weil sie ihren Mund nicht halten konnten.
Am meisten Gesprächsstoff lieferte ihnen Greta. Die war nur ein paar Jahre älter als sie selbst, tat aber immer furchtbar eingebildet und erfahren. Pah! Nur weil sie die Nichte der Mamsell war, war sie noch lange keine feine Dame. Und sie würde auch nie eine werden! Jeder hier im Souterrain wusste, dass Greta es auf den schönen Christoph Hansen, den Sohn des Hauses, abgesehen hatte. Aber wenn sie wirklich darauf hoffte, eines Tages in die oberen Stockwerke zu wechseln â nun, da hatten die beiden Küchenmädchen eine böse Ãberraschung für sie parat. Marie warf Paula einen wissenden Blick zu. Sie warteten schon den ganzen Tag auf die passende Gelegenheit, ihre groÃe Neuigkeit loszuwerden. Auf Gretas Gesicht waren sie beide gespannt. Paula blies ihre Wangen auf und vergrub die gefühllosen Finger im Eis. Geduld war nicht ihre Stärke.
Hätte nur eine von ihnen etwas von Gretas groÃem, ungeheuerlichem Geheimnis geahnt, wären sie alle beide bis ans Ende ihrer Tage mit Gesprächsstoff versorgt gewesen.
Greta wusste nicht, was in den Köpfen von Marie und Paula im Moment vorging, sie ahnte nur, es war nichts Freundliches. Mit einem leisen Seufzen drehte sie sich wieder ihrer Tante zu. »Als Köchin bekommt man so einiges mit«, meinte sie vage und hoffte, die Tante würde es dabei bewenden lassen.
Sie hätte sie besser kennen müssen.
»Erstens«, sagte Mathilde noch eine Spur strenger, »bin ich hier die Köchin und du bloà meine Gehilfin. Und zweitens, mein liebes Kind â¦Â«
Greta lieà ihre Tante nicht ausreden. »Ich bin kein Kind mehr, sondern zweiundzwanzig Jahre alt.«
Eines der beiden Küchenmädchen flüsterte kichernd etwas von einer alten Jungfer, aber Greta tat, als hörte sie es nicht. Sollten die beiden doch über sie herziehen! Lieber galt sie als spätes Mädchen, als dass irgendjemand die Wahrheit kannte. Greta begegnete furchtlos Mathildes Blick. »Du hast selbst oft genug gesagt, dass ich inzwischen genauso gut kochen kann wie du. SchlieÃlich hast du mir alles beigebracht.«
Die beiden Frauen standen sich gegenüber wie
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