Die Tortenbäckerin
Fleisch, Graupen und Schiffszwieback auf dem Segler zu vergessen. Fritzens Kleidung musste gewaschen und geflickt werden, und oft genug galt es, auch noch seine Gäste zu bedienen.
Mathilde versäumte darüber ihr eigenes Leben, versäumte es ohne Bedauern, weil keiner ihrer Verehrer ihr Herz so berührte wie die kleine Greta. Zumindest nicht nach dem einen Mann, den sie wirklich geliebt hatte und der nicht zurückgekehrt war aus dem Krieg.
Zudem war sie frei. In den langen Monaten, in denen Fritz auf See war, führte sie eigenständig den kleinen Haushalt. Kein Mann sagte ihr, was sie zu tun hatte, niemand erteilte ihr Befehle. Mathilde Voss war keine gebildete Frau. Sie las keine Zeitung, hatte noch nie etwas von der bürgerlichen Frauenbewegung gehört, und sie interessierte sich nicht für Kämpfe gegen das sichtbare und das unsichtbare Korsett. Sie war einfach nur zufrieden mit ihrem Leben, so wie es war. Und als Greta fünf wurde, Viola etwas kräftiger war und Mathilde im Haushalt weniger gebraucht wurde, da suchte sie sich Arbeit. Sie hatte Glück, fand eine Stellung in der Küche der Familie Hansen und verdiente bald neun Reichsmark in der Woche. Es waren gute Jahre, die besten im Leben der Mathilde Voss.
Greta wuchs zu einer Schönheit heran, erhielt Unterricht von ihrer Mutter, stahl sich aber immer wieder davon, um von ihrer Tante alles über die gutbürgerliche Hamburger Küche zu lernen. Mathilde liebte es, ihr Wissen an die Nichte weiterzugeben. Allerdings musste sie Greta auch oft genug zur Ordnung rufen. Das Mädchen war für Mathildes Geschmack viel zu experimentierfreudig.Sie stellte Rezepte, die sich seit hundert und mehr Jahren bewährt hatten, einfach in Frage und mischte Zutaten auf eine Art neu zusammen, bei der sich bei Mathilde die Nackenhaare aufstellten. Zu ihrer Ãberraschung schmeckten die Kreationen manchmal gar nicht schlecht. Zum Beispiel dieser Hecht mit KaviarsoÃe, dem Greta einmal zusätzlich ein Mus aus Erdbeeren beigemischt hatte. Erdbeeren zum Hecht! Unerhört! Aber dann hatte Mathilde heimlich einen Löffel voll probiert und war überrascht gewesen. Das war wie ⦠wie ⦠sie fand keine Worte für den Geschmack, aber genügend, um Greta auszuschimpfen. »Wir haben zu kochen, was die Herrschaft befiehlt. Nichts anderes!«
Greta hatte folgsam genickt, aber Mathilde wusste ganz genau, dass ihre Nichte weiter Neues versuchen würde.
Dazu kam noch Gretas ausgeprägte Leidenschaft für das Backen. Sicher, eine Köchin musste sich auch auf diesem Gebiet auskennen, aber besondere Kreationen waren in einem Haushalt wie dem der Hansens nicht gefragt. Und wenn es wirklich einmal etwas AuÃergewöhnliches sein sollte, dann wandte sich die Herrin an eine Conditorei. Wie sollte eine Köchin es auch schaffen, neben der vielen anderen Arbeit stundenlang Kuchenteige zu rühren und Glasuren anzufertigen? Nein, Mathilde kannte ihre Grenzen, Greta nicht. Immer wieder erwischte Mathilde ihre Nichte, wie sie in einem ruhigen Moment mit Eiern, Mehl, Zucker und anderen Zutaten herumprobierte.
Manchmal dachte Mathilde, Gretas Schüchternheit sei nur eine Maske, hinter der sich ein starkes und tatkräftiges Mädchen versteckte. Aber sie fragte sich, ob diese Stärke jemals zum Vorschein treten würde. Bislangerschien ihr Greta viel zu weich, zu nachgiebig, nicht geschaffen für den harten Lebensalltag.
Mathilde seufzte. Sie dachte an die guten Jahre, als Greta sie oft am Harvestehuder Weg besucht hatte. Damals stand ihr die Welt offen, sie würde eine gute Partie machen, und ihre Fähigkeiten in der Küche würden eines Tages ihrer Familie zugutekommen.
Dann geschah die Tragödie, und nichts war mehr wie zuvor. Auf dem Rückweg von Rio de Janeiro sank Fritz Vossens Schiff vor den Azoren, kein Mitglied der Besatzung kehrte je zurück. Am schlimmsten traf das Unglück Greta. Mathilde hatte gar nicht gewusst, wie sehr das Mädchen am Vater hing, den es doch nur wenige Wochen im Jahr sehen konnte. Aber an einem Tag kam Greta noch in die Villa, am nächsten war sie wie ausgewechselt, weinte um ihren Vati, weinte, als wäre viel mehr geschehen als dieses Unglück. So jedenfalls empfand es Mathilde. Und ein paar Monate später kündigte Greta an, sie müsse für eine Weile fort. Weder ihrer Mutter noch ihrer Tante sagte sie, wohin. Da half kein Betteln und kein
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