Die Tote am Watt: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
gedreht worden, und als die Pracht so richtig ordentlich aussah, hatte die Frisörin mit beiden Händen alles wieder durcheinandergebracht und die anschließende Unordnung mit Haargel gefestigt, damit sie auch hübsch unordentlich blieb. Mamma Carlotta war froh, dass Dino sie nicht fragen würde, wie man so dumm sein konnte, einer Frisörin zweiundfünfzig Euro dafür zu bezahlen, dass sie möglichst viel Unordnung auf dem Kopf anrichtete.
Zügig schritt sie nun aus, nachdem sie sich in der Touristeninformation nach dem Weg erkundigt hatte. Und bald konnte sie von Weitem Eriks Wagen erkennen. Hocherfreut lief sie noch ein bisschen schneller. Wann hatte es in ihrem Leben schon mal einen Ort gegeben, an dem ein Mensch einem scheußlichen Verbrechen zum Opfer gefallen war?
Sörens Mund stand immer noch offen. »Signora! Wie kommen Sie denn nach Kampen?«
Mamma Carlotta hatte ihn gerade zur Seite geschoben und das Haus betreten, als Erik in die Diele kam. Aber zum Fragen bekam er keine Gelegenheit. Seine Schwiegermutter erklärte, dass der reine Zufall sie zu einem Kampener Frisör geführt habe und dass es doch unsinnig sei, Geld für den Bus auszugeben, wenn sie genauso gut mit ihrem Schwiegersohn nach Wenningstedt zurückfahren könne. Und da sie schon einmal da sei, könne sie sich doch ein bisschen am Tatort umsehen. Schließlich habe sie in ihrem ganzen Leben noch nie etwas zu sehen bekommen, was ein Tatort genannt werden konnte. Wenn man mal von dem Zimmer in Signora Bitalas Pension absähe, in dem ein Feriengast die Muttergottes habe mitgehen lassen, die dort seit Jahrzehnten für Behaglichkeit gesorgt hatte.
Dabei war Mamma Carlotta mit flinken Beinen durchs Haus geeilt, hatte mit flinken Augen in jede Ecke geschaut und mit ebenso flinker Zunge die teure Einrichtung bestaunt. »Eine reinliche Frau muss die Tote gewesen sein. Oder hat hier die Putzfrau, die ihr in Verdacht habt, für Ordnung gesorgt? Oder die Schwester der Toten?«
Erik hätte sich beinahe zu der Anspielung hinreißen lassen, sich an dieser mustergültigen Ordnung ein Beispiel zu nehmen. Aber da Mamma Carlotta ihn nicht zu Wort kommen ließ, beschäftigte er sich ausschließlich mit seiner Verärgerung darüber, dass er beim Abendessen so viel über den Mordfall Christa Kern verraten hatte.
Mittlerweile stand Mamma Carlotta in der Küche und warf einen Blick in den Vorratsraum, dessen Tür offen stand. Er enthielt ein Regal, in dem etliche Konservendosen standen, aufeinandergestapelte Getränkekisten mit vollen und leeren Flaschen und unzählige Umverpackungen, die ein Bring-Service hinterlassen hatte. Mamma Carlotta nahm eine Schachtel in die Hand. »Fisch-Andresen, Westerland«, las sie. »Warum sind sie wohl aufbewahrt worden?«
»Um sie irgendwann in den Papiercontainer zu bringen«, meinte Sören achselzuckend.
»Dieser Bring-Service ist also oft ins Haus gekommen«, überlegte Mama Carlotta weiter. »Die Tote hatte weder Freunde noch Bekannte, das hast du doch gesagt, Enrico. Aber dieser Bring-Service ist regelmäßig zu ihr gekommen. So wie die Putzfrau und die Schwester. Vielleicht war es immer derselbe Zusteller. Dann hat er die Tote recht gut gekannt. Besser als andere! Und dann hat er womöglich eine Beobachtung gemacht, die dir weiterhelfen könnte, Enrico.«
Erik erwachte aus der Betäubung, in die er durch Mamma Carlottas Redeschwall geraten war. »Stimmt.«
»Ich kenne Fisch-Andresen«, bestätigte Sören. »Er hat seinen Laden im Gewerbegebiet, gar nicht weit vom Polizeirevier entfernt. Natürlich nicht in so vorteilhafter Lage wie Gosch. Eher ziemlich versteckt, sodass ihn kaum jemand kennt. Und es wäre schon ein Zufall, wenn ein Tourist auf den Laden stieße.«
»Ecco!« Mamma Carlotta griff sich zufrieden in die Haare. »Wie gefällt dir übrigens meine neue Frisur, Enrico?«
»Neue Frisur?« Erik starrte seine Schwiegermutter verwirrt an. »Hat sich irgendwas verändert?«
Mamma Carlotta verdrehte die Augen und fuchtelte über ihrem Kopf herum, als wollte sie das Werk der Friseurin durch intensives Haareraufen noch verbessern. »Lucia hat oft darüber geklagt, dass du nicht in die Seele einer Frau blicken kannst. Jetzt weiß ich, was sie gemeint hat.« Ohne auf Sörens Grinsen zu achten, fuhr sie fort: »Dann wirst du jetzt also nach Westerland fahren, um diesem Andresen auf den Zahn zu fühlen?«
Erik nickte. »Wir werden dich in Wenningstedt absetzen. Sicherlich möchtest du das Essen für die Kinder
Weitere Kostenlose Bücher