Die Tote am Watt: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
herausgestellt, dass Dino Capella viel höher versichert gewesen war, als irgendjemand geahnt hatte, und als der Haarknoten gefallen war, hatte es nach Wochen endlich mal wieder geregnet. Und kaum hatte Mamma Carlotta den Blümchenstoff gekauft und alle schwarzen Kleider in den hinteren Teil des Schrankes verbannt, hatte eine Touristin ihr eine knallrote Bluse überlassen. Alles Geschenke des Himmels, so viel war klar. Und dass ihre Lieblingstochter dahintersteckte, war ebenso klar. Lucia dort oben im Himmel wollte, dass ihre Mutter nun endlich ihr Leben änderte. Und wenn sie wollte, dass die Mama demnächst eine knallrote Bluse trug, dann würde es so geschehen.
»Sì!«, sagte Mamma Carlotta laut und deutlich, als sie an der Bushaltestelle ankam.
Wenig später brauste ein Lieferwagen vorüber, der mit einer Vollbremsung für reichlich Unordnung auf der Hauptstraße sorgte. Erst recht, als er den Rückwärtsgang einlegte und den Wagen zurückrollen ließ. Käptens Kajüte stand auf seiner Seite.
Tove beugte sich über den Beifahrersitz und öffnete die Tür. »Wo soll’s denn hingehen, Signora? Kann ich Sie mitnehmen?«
Mamma Carlotta war begeistert. »Nach Kampen! Zum Frisör!«
»Na, dann steigen Sie mal ein. Ich muss nach List. Da liegt Kampen ja auf meinem Weg.«
Er startete den Wagen erst, als Mamma Carlotta so lange hin und her gerutscht war, bis sie gemütlich saß. »Es sind nur fünf Minuten«, lachte er. »Soll ich Sie in der Ortsmitte absetzen?«
Mamma Carlotta nickte. »Frau Kemmertöns hat gesagt, in der Nähe der Haltestelle Kampen Mitte gibt es den besten Frisör der Insel.«
Tove grinste. »Na, wenn Frau Kemmertöns das sagt …«
Mamma Carlotta fand es schade, dass die Fahrt tatsächlich nicht länger als fünf Minuten dauerte. Denn als sie ankamen, hatte sie sich gerade in einer so angeregten Unterhaltung mit Tove eingerichtet, dass sie seinen Wagen nur ungern verließ.
»Soll ich Sie auf dem Rückweg wieder mitnehmen?«, fragte Tove.
Aber Mamma Carlotta schüttelte den Kopf. »Ich werde wohl mit meinem Schwiegersohn zurückfahren«, erklärte sie. »Der hat zurzeit in Kampen zu tun.«
Toves derbes Gesicht, das sein Lächeln für kurze Zeit sanft und liebenswürdig gemacht hatte, verlor alle Freundlichkeit wieder. Die breiten Augenbrauen, die er beim Lachen hob, senkten sich wie Gewitterwolken über seinen Blick. »Wegen des Mordfalls?«
Mamma Carlotta nickte. »Der Tatort ist ganz in der Nähe.«
Sie hatte schon die Wagentür ins Schloss geworfen, als Tove rief: »Sagen Sie nichts davon, dass Sie in meinem Wagen gefahren sind, Signora! Es ist besser so.«
Mamma Carlotta nickte noch einmal, dann ging sie auf die Tür des Frisörsalons zu.
Die folgende Stunde war eine ihrer schönsten. Sämtliche Frisörinnen liefen nämlich zusammen, als sie erfuhren, dass dies der erste Frisörbesuch in Carlotta Capellas Leben war, und sie alle hingen an ihren Lippen, als Mamma Carlotta sie fast zwei Stunden lang mit Geschichten aus ihrem eigenen Leben unterhielt, aus dem ihrer Kinder, Enkel und … nun, zu den Schwiegerkindern kam sie nicht mehr, was ihr außerordentlich leid tat, denn sie wollte gerade ein wenig damit prahlen, dass der Hauptkommissar Erik Wolf mit ihrer verstorbenen Tochter verheiratet gewesen war. Aber als sie die Rechnung präsentiert bekam, fand sie, dass die Damen diese Information gar nicht verdient hatten.
Leicht pikiert verließ sie den Salon und erwärmte sich eine Weile mühsam an ihrer Rache, den Frisörinnen den interessantesten Teil ihrer Erzählung vorenthalten zu haben. Zweiundfünfzig Euro für ein bisschen Haarewaschen, Schneiden, Massieren hier und Spülen dort! Mamma Carlotta hoffte inständig, dass Dino nicht auf sie herabsah und sie mit einem Regenguss strafte, der das Werk der Kampener Frisörin gleich wieder zunichte machen würde. Da jedoch der Himmel nicht nach Regen aussah, beruhigte sie sich bald wieder. Und nachdem sie im Vorübergehen einen Blick in ein Schaufenster geworfen hatte, fand sie plötzlich, dass das Geld gut angelegt war. Ihre gleichaltrige Schwägerin, die nach zehn Jahren Witwenschaft immer noch schwarze Kleider trug und die Haare im Nacken zusammensteckte, würde sich wundern, wenn Carlotta Capella mit dieser Frisur aus Deutschland zurückkehrte! Die war nämlich noch ein gutes Stück aufregender als die Löckchenfrisur, die Guidos Frau ihr auf den Kopf gezaubert hatte. Jetzt war jede einzelne Locke über einen geheizten Lockenstab
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