Die Tote auf dem Opferstein: Kriminalroman
bereits.«
Die Männer waren gerade dabei, ihre Büchsen zu laden, als der erste Schuss aus dem Boot der Verfolger knapp hinter ihnen vorbeisauste.
»Glauben Sie bloß nicht, dass die ihr Ziel verfehlen. Das war lediglich ein Warnschuss.«
»Haben Sie eine Waffe dabei?«, fragte der Kapitän Agnes.
Stumm schüttelte sie den Kopf und nahm die Pistole entgegen, die ihr gereicht wurde.
Vermutlich würde Bryngel nicht schlecht staunen, wenn seine eigenen Seeräuber seine Zukünftige gefangen nahmen und vielleicht sogar umbrachten. Und Vater, was würde er dazu sagen? Sie dankte Gott, dass Großmutter dies nicht mehr miterleben musste.
Agnes kam eine Idee.
»Sagen Sie ihnen, dass die Ladung dem zukünftigen Schwiegervater von Bryngel Strömstierna gehört.«
Kapitän Wikström fiel die Kinnlade hinunter.
»Dem will der Alte seine Tochter geben? Sind Sie sich da sicher?«
»So wahr mir Gott helfe«, sagte Agnes.
»Wir hissen die weiße Flagge und lassen sie bis in Hörweite herankommen. Hoffen wir, dass sie uns noch einmal davonkommen lassen, wenn sie diese Neuigkeit erfahren.«
Als sich das Schiff näherte, geriet Agnes ins Schwitzen. Neben dem Kapitän zählte sie vierundzwanzig bewaffnete Männer an Bord.
»Unsere Ladung gehört dem Herrn von Näverkärr«, rief Kapitän Wikström.
Der andere Schiffsführer lachte höhnisch. Die Besatzung fiel in sein Lachen ein.
»Das ist uns bekannt. Wenn Sie sie uns freiwillig übergeben, kommt niemand zu Schaden.«
»Dann wissen Sie wahrscheinlich auch, dass Bryngel Strömstierna und der Eigentümer unserer Ladung, der Herr von Näverkärr, demnächst verwandt sein werden. Letzterer wird seine Tochter Agnes mit dem jungen Herrn auf Gut Vese verheiraten. Es könnte allerdings Probleme mit der Hochzeit geben, wenn Sie Güter stehlen, die Bryngels Schwiegervater gehören.« Kapitän Wikström sprach mit lauter und ruhiger Stimme, aber Agnes sah die weißen Knöchel seiner Finger, die sich krampfhaft an das Steuerrad klammerten. Er ging ein hohes Risiko ein.
Die Schiffe lagen nun nebeneinander. Strömstiernas kräftige Männer sahen ihren Befehlshaber erwartungsvoll an. Wäre auch nur ein einziges Fischereigerät an Bord gewesen, hätte man sie für Fischer halten können. Der Mann schien gedanklich den Wahrheitsgehalt der Information zu überprüfen.
»Sind Sie sich Ihrer Sache sicher?«
»Vollkommen.«
»Glauben Sie mir, Kapitän Wikström, wenn Sie mich angelogen haben, werden Sie es bitter bereuen.« Das andere Boot fiel vom Wind ab und war nach wenigenMinuten hinter einer Insel verschwunden. Der Kapitän wirkte erleichtert.
»Dieses Manöver funktioniert nur einmal, habe ich recht?«
»Wie meinen Sie das?«, fragte Agnes.
»Beim nächsten Mal wissen Strömstiernas Seeräuber, dass sich Bryngels Zukünftige aus dem Staub gemacht hat.«
Agnes riss die Augen auf. Er hatte sie durchschaut.
»Erzählen Sie es bitte nicht weiter.«
»Was denn?« Er lächelte. »Dass ein Fassmacher unser Passagier war?«
Kapitän Wikström zeigte auf die Silhouette, die sich in weiter Ferne vom Himmel abhob.
»Die Festung Carlsten. Wir sind noch vor dem Abend in Marstrand.«
3
In einem alten Männerhemd und mit Kopftuch stand Vendela ganz oben auf der Leiter. Erbarmungslos schabte sie mit einem Spachtel die alte Leinölfarbe vom südlichen Giebel des Bremsegård. Hin und wieder wandte sie sich von der gelbgestrichenen Wand ab und ließ ihren Blick abwechselnd über das Wasser nach Marstrandsö oder die Wiesen von Klöverö und den etwas weiter entfernten Lindenberg schweifen.
Da das Holz in gutem Zustand war, hatten sie erst wenige der Schalbretter erneuern müssen. Die Leinölfarbe hatte Wind und Wetter in erstaunlichem Maß getrotzt.
»Was gibt es zu essen?«
Die Frage kam von Jessica, die in einem Liegestuhl gemütlich im Forbes Magazin blätterte. Ihre Haare waren unter einem breitkrempigen Sonnenhut verborgen und ihr knappes Bikini-Oberteil bedeckte gerade eben die Brustwarzen.
Vendela hinterließ vor Wut eine tiefe Kerbe in der alten Holzverschalung. Bei der Wahl seiner Ehefrau hatte ihr Bruder wirklich keinen guten Fang gemacht. Bei ihrer ersten Begegnung mit Jessica hatte Vendela gedachtoder vielmehr gehofft, es würde sich wie schon so oft nur um eine kurze Affäre handeln. Rickard hatte immer Schwierigkeiten gehabt, seine Begeisterung längerfristig aufrechtzuerhalten, doch entgegen aller Prognosen war es Jessica gelungen, sich festzubeißen.
»Da musst du
Weitere Kostenlose Bücher