Die tote Autorin (German Edition)
und auf all die anderen Werke gelegt. Auch dieses würde ungelesen bleiben.
Nun stehe ich da und habe vergessen mir neue Ziele zu setzen. Ich war so in die Arbeit vertieft, so wunschlos glücklich, dass ich verpasst habe, mir neue Wege zu suchen. Ich bin aber auch dankbar für das Erlebte, dass ich einen Moment stehen bleiben und einfach nur ein- und ausatmen möchte.
Lora schrieb nicht nur, sondern malte auch die Bilder, die zu den Geschichten gehörten. Auf diese Idee war sie schon kurz nach dem Einzug in das Haus gekommen. Sie fand einen hölzernen Spielzeugleuchtturm zwischen dem Brennholz, das noch dort lag, als sie das Haus kaufte. Er schien nicht mehr intakt, sondern der Länge nach halbiert. Wurde er vielleicht auch so verkauft? Lora wusste es nicht. Sie wunderte sich nur darüber, machte sich aber weiter keine Gedanken. Nur brachte sie das auf die Idee, dass zu jedem Manuskript Bilder gehören sollten. Dreidimensionale Bilder, die im Betrachter das Gefühl erweckten lebendig zu sein. Sie hielt darin ihre Emotionen und Gedanken fest. Die Farben mischten sich ineinander, wie die Gefühle in Loras Leben, ohne den Ton der ursprünglichen Farbe unkenntlich zu machen.
Die Bilder waren chaotisch und doch hatte alles seine Ordnung. Sie hatte es fertig gebracht, mit all ihren Gegensätzen in Harmonie zu leben, was ihr einen neuen Horizont eröffnete und sie nicht zerbrechen liess. Sie ging ins Haus und räumte das Wenige auf, das noch von der langen Nacht des Schreibens herumlag. Anschliessend zog sie sich warm an und ging auf die Veranda zurück. Sie nahm auf einem Schaukelstuhl, ihrem Lieblingsstuhl, Platz und schaute zum See.
Ihre Gedanken schweiften ab zu der Zeit, kurz bevor sie dieses Grundstück erworben hatte. Innert Stunden hatte sich ihr Leben komplett verändert. Einen Tag zuvor war sie noch ihrer Arbeit nachgegangen und am nächsten Morgen hatte sie Job und Wohnung gekündigt. Sie hatte mehrere Inserate aufgegeben: Zuerst suchte sie einen Nachmieter. Ihre Wohnung war sehr schön, grosszügig angelegt und an ruhiger Lage, deshalb fand sie sofort jemanden. Danach verkaufte sie ihre Möbel, denn es gab nichts, was sie hätte mitnehmen wollen. Sie hatte sich einen Neuanfang wie im Bilderbuch vorgestellt ohne zu ahnen, dass es noch schöner werden würde. Lora fing an, die Immobilienseiten im Internet zu studieren. Sie wusste genau, wonach sie suchte. Das Grundstück, welches gerade auf ihrem Bildschirm zu sehen war, übertraf alle ihre Vorstellungen. Es wurde nicht verkauft, sondern versteigert. Aber sie hatte ja genug Geld. So hatte alles angefangen. Lora hatte hier eine wunderschöne, glückliche Zeit erlebt. Nur ihr grösster, innigster Traum war bis an jenem Morgen nicht in Erfüllung gegangen. Inzwischen war es Abend geworden, die Sonne verabschiedete sich und Lora sass noch immer am gleichen Ort.
Die Leiche
A nna Beck hatte den Wald erreicht und rannte weiter. Als sie kaum noch atmen konnte, machte sie Halt. Sie schaute sich um, setzte sich auf einen Baumstumpf und versuchte sich zu beruhigen. Eines war sicher: Ihr Hausarzt würde vergeblich auf sie warten! Sie würde den Termin nicht einhalten. Anna Beck hatte mit dem Leben abgeschlossen und wollte an nichts mehr denken ausser schnell einzuschlafen und nie wieder zu erwachen. Ihre Gedanken fieberten einer Lösung entgegen, aber sich ohne Hilfsmittel in einem Wald umzubringen war nicht gerade leicht.
Sie entschloss sich aufzustehen und weiterzugehen. Die Tränen schienen überhaupt nicht mehr versiegen zu wollen und sie war immer noch wütend. Immer wieder kehrten die Bilder zurück. Sie hatte den Mann aus Scham nie angezeigt. Glücklicherweise war sie ihm auch nie mehr begegnet. Sie bemerkte nicht, dass es langsam dunkel wurde. Nur nicht stehen bleiben! In weiter Ferne entdeckte sie ein bläuliches Glänzen, als würde sich der Himmel spiegeln. Gab es hier einen See? Sie beschleunigte ihre Schritte und als sie ankam, staunte sie.
Die Natur schien in dieser Ecke der Welt perfekt zu sein. Zu ihrer Überraschung stand dort auch ein Häuschen. Anna Beck war erleichtert. Vielleicht war es offen oder es wohnte dort jemand und sie konnte übernachten. Sie erinnerte sich an die Worte, die ihr Vater ihr immer gesagt hatte: Egal, was im Leben passiert, egal wie aussichtslos eine Situation ist, triff nie eine Entscheidung, bevor du einmal darüber geschlafen hast.
Er hatte Recht. Sie würde ihren Selbstmord um einen
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