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Die Tote von Harvard

Die Tote von Harvard

Titel: Die Tote von Harvard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
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wird es wohl vorkommen, daß jemand eine Million Dollar für einen Frauen-Lehrstuhl spendet? Antworte lieber nicht, ich mag es nicht, wenn du ausfallend wirst.«
    »Nach dem Badewannen-Zwischenfall ging es mit Janet also erst richtig bergab?«
    »Ich fürchte ja. Das ganze Ausmaß ihrer Verzweiflung habe ich erst begriffen, als ich ihr Appartement sah – nackt und kahl –, sie war nie heimisch darin geworden. Als hätte sie gewußt, daß es nicht von Dauer sein sollte. Und auf ihrem Nachttisch lagen die Gedichte von Herbert. Seit ich vor ewigen Zeiten aufgehört habe, Grundkurse für englische Literatur zu geben, habe ich keine Gedichte aus dem siebzehnten Jahrhundert mehr gelesen, und auch damals war uns Herbert nicht besonders wichtig. Also las ich dieses Gedicht, mit dem Janet sich so ausgiebig beschäftigt hatte, mit frischem Geist, so wie man Gedichte natürlich immer lesen sollte. Ich bin sicher, daß auch Janet es in gewisser Weise zum ersten Mal las, das heißt, zum ersten Mal richtig auf sich wirken ließ. In ihrem ersten, berühmten Buch ging es darum, Herbert nicht von heute aus zu lesen, sondern so wie seine Zeitgenossen. Janet ließ es zum ersten Mal unmittelbar auf sich wirken und bekam seine ganze emotionale Wucht zu spü-
    ren.« Kate nahm einen Schluck Wein.
    »Herberts Gedicht ›Liebe‹«, fuhr sie fort, »erzählt von einem 152

    Mann, der sich wegen seines unfrommen Lebenswandels unwürdig fühlt, den Christus aber an seinen Tisch bittet und bewirtet. Ich brauche dir nicht zu erzählen, auf wie viele Weisen man dieses Gedicht lesen kann. Entspann dich, ich hab nicht vor, sie dir aufzuzählen.
    Irgendwann kam mir jedenfalls der Gedanke, daß man das Gedicht als Einladung zum Tod verstehen kann. Christus bittet den Mann, sich zu ihm zu gesellen, sein Brot mit ihm zu teilen und, vielleicht, ihm in den Himmel zu folgen, also auch den Tod mit ihm zu teilen.
    Schon gut, schon gut, spar dir deine Einwände. Ich verwarf diese Phantasie selbst als das, was sie war: eine Phantasie.«
    »Und dann«, fuhr Kate fort, »fiel mir etwas ein. Ich erinnerte mich plötzlich an ein ziemlich konfuses Gespräch im Speisesaal des Dunster-Hauses, bei dem ein junger Mann mir erzählte, er habe Janet wegen eines Gedichts von Herbert konsultiert, das Simone Weil gelesen hatte. Also ging ich los, besorgte mir die neueste Biographie über Simone Weil und sah sie durch auf irgendwelche Hinweise.
    Dabei fand ich heraus, daß Simone Weil dieses Gedicht abgeschrie-ben hatte, um es immer wieder zu lesen, denn während sie es las, hatte sie das Gefühl, Christus existiere. Nur für den Fall, lieber John, daß du mich im Verdacht hast, ich wollte dir schon wieder eine Feministin unterjubeln: Simone Weil war eine brillante Philosophin, die ihr ganzes Leben den Armen, Gequälten und Betrogenen widmete. Sie identifizierte sich zutiefst mit den Ausgestoßenen und Ver-folgten, mit allen Leiden, außer natürlich jenen, die sie am eigenen Leib erfuhr: als Frau und als Jüdin. Mit beiden identifizierte sie sich nicht sonderlich.«
    »Hat sie sich umgebracht?«
    »Vielleicht. Im Zweiten Weltkrieg, als viele Menschen hunger-ten, starb sie den Hungertod. Ich glaube, zum Teil starb sie, weil sie nichts mehr sah, wofür sich zu leiden lohnte. Merken mußt du dir nur, daß sie zu den großen Geistern unserer Zeit gehört. Ich hoffe, du hast Simone Weil inzwischen verdaut, denn ich habe vor, noch mehr tote Frauen, sowohl aus der Literatur wie aus dem wirklichen Leben, ins Spiel zu bringen – also wappne dich.« Aber John, ein zutiefst weiser Mann, nahm Kate jetzt nicht auf die Schippe.
    »Nachdem Clarkville zugegeben hatte, daß er Janets Leiche fort-schaffte, bat ich ihn, mich einen Blick in ihr Büro werfen zu lassen.
    Wenn sie in Harvard irgendwo gelebt hatte, dann hier, das wurde mir sofort klar. Hier, wenn überhaupt, hoffte sie auf Rettung. Und hier las sie eine Biographie über Eleanor Marx.«
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    »Erstaunlich, daß Janet sich für sie interessiert hat.«
    »Genau das sagte Clarkville und habe auch ich gedacht. Jedenfalls nahm ich die Biographie mit und las sie. Eleanor Marx brachte sich mit Zyankali um, das damals unter dem Namen Blausäure bekannt war. Niemand, außer vielleicht einer Freundin, mit der sie korrespondierte, wußte überhaupt, daß sie unter Depressionen litt.
    Bemerkenswert ist außerdem, daß Eleanor Marx ›Madame Bovary‹
    übersetzte. Und die Heldin dieses Buchs tötete sich mit Arsen – aus Verzweiflung

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