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Die Toten befehlen

Titel: Die Toten befehlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vincente Blasco Ibañez
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mit roter Seide gefütterten Überrock, der jedes halbe Jahr durch einen neuen ersetzt wurde. Nur mit seiner Weste nahm der alte Herr Rücksicht auf die Jahreszeiten. Im Winter trug er eine Weste von Samt, im Sommer von gestickter Seide. Seine Liebhabereien waren Bücher und sehr schöne Wäsche. Vom Auslande erhielt er häufig Dutzende von Hemden, die oft in den Schränken vergessen liegen blieben und gelb wurden. Die Buchhändler von Paris sandten ihm regelmäßig große Pakete mit allen Neuerscheinungen. Irregeführt durch seine ständigen Aufträge, schrieben sie auf die Adresse ein Wort, das Don Horacio mit spöttischem Vergnügen zeigte: »Buchhändler«.
    Er behandelte den Letzten der Febrer mit großer Güte und gab sich Mühe, sich für Jaime verständlich auszudrücken, trotzdem er von Natur wortkarg und wenig umgänglich war. Er erzählte ihm von seinen Reisen nach Paris und London, auf Segelschiffen und in Postkutschen. Erst später konnte er Raddampferund Eisenbahnen benutzen. Hierbei beschrieb er ihm diese wunderbaren Erfindungen, deren erste praktische Versuche er kennengelernt hatte. Er schilderte ihm auch die Gesellschaft zur Zeit Louis Philippes, die großen Debüts der Romantiker und die Barrikadenkämpfe in Paris, deren Augenzeuge er gewesen war.
    Viel Ungemach, das er erlebt hatte, würde seinem Enkel erspart bleiben. Don Horacio erinnerte sich an seinen tyrannischen Vater, der keine andere Meinung neben sich aufkommen ließ. Der beständige Streit hatte Horacio gezwungen, das Elternhaus zu verlassen. Sein Vater gehörte zu den Edelleuten, die keinen Kompromiß kennen. Er suchte den König Ferdinand auf, um ihn zu bitten, die alten Gebräuche wiederherzustellen, und segnete seine Söhne mit den Worten: »Mögest du mit Gottes Hilfe ein guter Inquisitor werden!«
    Bisweilen betrachtete Don Horacio das Bild von Doña Elvira. Dann wurde er weich und sagte mit bewegter Stimme zu Jaime:
    »Deine Großmutter war eine große Dame, eine Künstlerin mit der Seele eines Engels. Neben ihr schien ich ein Barbar zu sein ... Sie gehörte zu unserer Familie, kam aber von Mexiko, um sich mit mir zu verheiraten. Ihr Vater blieb drüben und kämpfte auf Seiten der Insurgenten. Glaube mir, in unserm ganzen Geschlecht hat es nie eine Frau gegeben, die ihr gleichkam.«
    Jeden Vormittag um halb zwölf Uhr entließ er den Enkel, setzte einen Zylinderhut auf und machte einen Spaziergang durch die Straßen von Palma. Ob es regnete oder ob die Sonne brannte, unempfindlich gegen Kälte und Hitze, ging er jeden Tag durch dieselbenStraßen, auf demselben Bürgersteig. Er erschien und verschwand mit der automatischen Regelmäßigkeit einer Uhr.
    Nur ein einziges Mal in dreißig Jahren hatte er diesen Spaziergang durch die einsamen Straßen, in denen seine Schritte widerhallten, geändert. An einem Vormittage hörte er aus dem Innern eines Hauses, an dem er vorbeiging, die Stimme einer Frau:
    »Manuela, setz den Reis auf. Es ist zwölf Uhr, Don Horacio kommt vorbei!«
    Empört über diesen Mißbrauch seiner Person, schritt er zur Tür und rief mit ernster Stimme hinein:
    »Caramba, ich bin keine Uhr für eine alte H ...«
    Oft sprach er zu seinem Enkel von dem früheren Glanz des Hauses. Die geographischen Entdeckungen brachten den Ruin für die Febrer. Das Mittelländische Meer war nicht mehr die Straße zum Orient. Seit die Portugiesen und die Spanier neue Wege entdeckt hatten, verfaulten die Schiffe von Mallorca untätig im Hafen. Auch die Kämpfe mit den Piraten waren vorüber. Der Malteserorden bedeutete nur noch eine ehrenvolle Auszeichnung. Ein Bruder seines Vaters war Ordenskomtur in La Valette gewesen, als Bonaparte Malta eroberte. Mit einer armseligen Pension mußte der Malteser nach Palma zurückkehren, um dort zu sterben. Aber trotzdem den Febrer seit zwei Jahrhunderten die früheren großen Einnahmen fehlten, hatten sie ihr Leben im alten Prunk weitergeführt und sich damit langsam ruiniert. Noch zu Lebzeiten von Don Horacios Großvater stand die Feudalherrschaft in voller Blüte und der Titel »Butifarra« bedeutete in Mallorca etwas, was das Volk zwischen Gott und den Adel stellte.
    Wenn ein Febrer zur Welt kam, war dies ein Ereignis, an dem die ganze Stadt Anteil nahm. Vierzig Tage lang blieben alle Tore des Palastes geöffnet. Der Ehrenhof war voller Staatskarossen, die Dienerschaft bildete Spalier. Um die mit Torten, Süßigkeiten und Getränken bedeckten Tische in den weiten Sälen drängten sich die

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