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Die Toten befehlen

Titel: Die Toten befehlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vincente Blasco Ibañez
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geächtet. Nur Doña Elvira, die Großmutter von Jaime, eine Mexikanerin,deren Bild er oft betrachtet hatte und die in seiner Vorstellung stets weiß gekleidet war, mit einer goldenen Harfe zwischen den Knien, wagte es, die Einsame von Son Vent einige Male aufzusuchen. Aber diese Besuche erregten ein derartiges Ärgernis, daß Don Horacio seiner Gattin verbot, sie fortzusetzen.
    Jetzt waren die Fremden vollständig isoliert. Während die Kinder wie ein paar kleine Wilde mit ihrer Mutter im Freien spielten, quälte ein hohler Husten den Kranken in seinem Schlafzimmer. Erst in den späten Nachtstunden kam seine schwermütige Muse. Dann saß er am Flügel und schuf zwischen Husten und Seufzern seine unsterblichen Meisterwerke.
    Der Besitzer von Son Vent, ein Bürger aus Palma, kündigte den Fremden von einem Tag zum andern in einer brüsken Art, als ob sie eine Zigeunerbande gewesen wären. Der Pianist war schwindsüchtig; sollte er sich seine Villa verseuchen lassen?
    Wohin gehen? ... jetzt nach Frankreich zurückzukehren, war unmöglich. Man befand sich mitten im Winter, und Chopin zitterte bei dem Gedanken an die Kälte von Paris. Mochte die Insel noch so ungastlich sein, er liebte sie wegen ihres milden Klimas. Da bot sich ihnen als einzige Zuflucht das Karthäuserkloster von Valldemosa, ein Gebäude aus dem Mittelalter, ohne irgendwelche architektonische Schönheit. Aber die Lage war wunderbar. Die Abhänge der Berge trugen ausgedehnte Pinienwälder; das Kloster selbst wurde gegen die Glut der Sonne geschützt durch Anpflanzungen von Mandelbäumen und Palmen, durch deren Laubwerk die grüne Ebene und das ferne Meer schimmerten. Das Gebäude, seit langem nicht mehr bewohnt, war fast eine Ruine. Nur Bettler und Landstreicherschlugen in den Zellen ihr Lager auf. Der einzige Zugang führte über den alten Klosterfriedhof. In den Mondscheinnächten geisterte ein weißes Gespenst umher, die Seele eines verfluchten Mönches, die bis zur Stunde ihrer Erlösung an dem Ort ihrer Sünden umherirren mußte.
    An einem stürmischen Regentage brachen die Flüchtlinge zum Kloster auf. Der Weg in den Bergen war im Laufe der Jahre fast ungangbar geworden, so daß die Wagen, wie George Sand sagte, »mit einem Rade auf dem Felsen standen und mit dem anderen über einem Wildbach hingen.« Eingehüllt in einen großen Umhang, zitterte der Musiker vor Kälte unter dem Zeltdach des Wagens und fuhr bei jedem Stoß schmerzhaft zusammen. An den gefährlichen Stellen stieg die Schriftstellerin aus und folgte mit ihren Kindern dem Wagen zu Fuß.
    Den ganzen Winter verbrachten die Fremden in der Einsamkeit der Karthause. Mit Babuschen und einem Tuch um den schlecht frisierten Kopf kochte George Sand, immer froher Laune, mit Hilfe eines jungen Bauernmädchens, das jede Gelegenheit wahrnahm, um die für den lieben Kranken bestimmten Leckerbissen zu verschlingen. Die Dorfkinder von Valldemosa glaubten, die kleinen Franzosen wären Mauren, Feinde vom lieben Gott, und warfen nach ihnen mit Steinen. Die Frauen übervorteilten die Mutter in unerhörter Weise, wenn sie ihr Lebensmittel verkauften, und gaben ihr obendrein den Beinamen »die Hexe«. Jeder Mensch bekreuzigte sich, wenn er einen von diesen »Zigeunern« sah, die sich erkühnten, in einer Klosterzelle zu leben, so nahe bei den Toten, in ständiger Verbindung mit dem Gespenst.
    Tagsüber, während der Kranke ausruhte, bereitete die Schriftstellerin die Suppe und half dem Mädchen, mit ihren feinen Künstlerhänden das Gemüse zu putzen. Oft führte sie ihre Kinder nach der steilen Küste von Miramar, wo einst der Gelehrte Ramon Lull seine Schule für orientalische Studien errichtet hatte. Aber wenn die Nacht hereinbrach, begann ihr wahres Leben.
    Die dunkle Klosterruine war erfüllt von Harmonien: Chopin, über den Flügel gebeugt, komponierte seine Nocturnes. Und George Sand schrieb, beim spärlichen Licht einer Kerze, »Spiridion«, die Geschichte eines Mönches, der dahingelangt ist, jeglichen Glauben abzuwerfen.
    In den Vollmondnächten verspürte sie den Schauer des Geheimnisvollen, die Wollust der Angst. Dann ging sie durch die dunklen Zellen, durch deren kleine Fenster das Mondlicht weiße Flecke auf den Boden malte. Niemand! ... Dann setzte sie sich auf einen Grabstein in dem alten Friedhof der Mönche und wartete vergeblich, daß das Erscheinen des Phantoms ihr monotones Dasein durch irgendein romantisches Ereignis unterbrechen möchte.
    In einer Karnevalsnacht wurde die Karthause

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