Die Toten befehlen
in den Straßen der Stadt.Sechsundachtzig Jahre alt: er war genug spazieren gegangen. Der Tag kam, an dem er das Bett nicht mehr verlassen konnte. Aber auch jetzt noch bewahrte er das korrekte Äußere. Sogar im Bett sah ihn Jaime mit einem feinen Batisthemd, der Krawatte, die der Diener jeden Tag wechseln mußte, und der seidenen Weste. Wenn ihm der Besuch seiner Schwiegertochter gemeldet wurde, sagte Don Horacio mit ärgerlicher Miene:
»Jaimito, reiche mir den Überrock. Eine Dame muß man geziemend empfangen.«
Der gleiche Vorgang wiederholte sich, wenn der Arzt kam oder die wenigen Besuche, die er anzunehmen geruhte. Er hielt darauf, bis zum letzten Augenblick korrekt auszusehen.
Eines Nachmittags sagte er mit schwacher Stimme zu seinem Enkel, der nahe beim Bett in einem Buch mit Reisebeschreibungen las, er solle gehen. Jaime ging. Und der Großvater konnte mit Würde sterben, allein, ohne auf sein Äußeres achten zu müssen und Zeugen seiner Agonie zu haben.
Als Jaime mit seiner Mutter allein blieb, fühlte er einen starken Freiheitsdrang. Die Schilderungen von Abenteuern und Reisen aus der Bibliothek des Großvaters und die Taten seiner Ahnen, wie sie im Archiv verewigt waren, hatten großen Eindruck auf ihn gemacht. Wie sein Vater und so viele andere seiner Vorfahren, wollte er in die Kriegsmarine eintreten. Als er der Mutter seinen Wunsch mitteilte, wurde sie totenblaß. Der letzte Febrer sollte einen solchen gefährlichen Beruf wählen und fern von ihr leben! ... Nein, die Familie hatte genug Helden hervorgebracht. Ersollte auf der Insel bleiben, ein Leben führen, wie es seinem Range entspräche, und sich verheiraten, damit der große Name, den er trug, nicht ausstürbe.
Jaime gab den Bitten seiner Mutter nach. Sie war immer krank, eine starke Erregung konnte ihr Leben gefährden. Also würde er irgendeine andere Karriere ergreifen. Seiner Mutter Wunsch war, er möchte die Rechte studieren, um später die Vermögensverhältnisse der Familie zu entwirren. Es gab derartig viele Hypotheken, alte und neue Forderungen, daß sich niemand mehr zurechtfand.
Mit sechzehn Jahren schiffte sich Jaime mit einer wohlgefüllten Börse nach Spanien ein. Sein Gepäck war sehr umfangreich; er führte eine ganze Wohnungseinrichtung mit sich, denn ein Febrer konnte nicht wie irgendein kleiner Student leben. Zuerst ging er nach Valencia, wo seine Mutter weniger Gefahren für seine Jugend befürchtete; von hier nach Barcelona, und so besuchte er während der nächsten Jahre eine Reihe von Universitäten, je nach dem Wohlwollen, das die Dozenten ihren Hörern entgegenbrachten. Sein Studium machte keine großen Fortschritte. Durch glückliche Zufälle konnte er einige Prüfungen bestehen, auch half ihm die ruhige Keckheit, mit der er über Sachen sprach, von denen er in Wirklichkeit nichts wußte. Aber in gewissen Fächern versagte er vollkommen. Seine Mutter glaubte willig an seine Erklärungen und ereiferte sich bei diesen Gelegenheiten gegen die Ungerechtigkeit ihrer Zeit. Sie riet ihm sogar, sich bei seinen Studien nicht übermäßig anzustrengen. Ihre unversöhnliche Feindin, die Päpstin Juana, urteilte vollkommen richtig, es waren keine Zeiten für Edelleute. Man hatte ihnen den Krieg erklärtund beging alle möglichen Ungerechtigkeiten, um sie nicht wieder hochkommen zu lassen.
Jaime war sehr populär in allen Klubs und vornehmen Lokalen von Barcelona und Valencia, in denen gespielt wurde. Man nannte ihn den »Mallorquín mit den Unzen«, weil die Mutter ihm sein Geld in Unzen Gold schickte, die dann mit arrogantem Glanze auf dem grünen Tuch rollten. Sein Prestige wurde noch gehoben durch seinen seltsamen Titel »Butifarra«, über den man in Spanien ein wenig lächelte. Trotzdem erweckte er stets die Vorstellung einer Art feudaler Macht, souveräner Herrenrechte auf fernen Inseln.
Nach fünf Jahren hatte Jaime erst die Hälfte seiner Prüfungen abgelegt. Seine Altersgenossen von Mallorca, die ebenfalls in Spanien studierten, fanden während der Ferien in Palma stets interessierte Zuhörer, wenn sie von Febrers Abenteuern in Barcelona erzählten. Oft wurde er mit sehr elegant gekleideten Damen gesehen. In den Spielsälen, wo es häufig sehr lebhaft zuging, war man vor ihm auf der Hut, da man seine Kraft und seinen Mut kannte. Einmal hatte er einen berüchtigten Raufbold, der ihn belästigte, in die Luft gehoben und durch das Fenster auf die Straße geworfen. Als die friedfertigen Einwohner von Mallorca hiervon
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