Die Toten befehlen
eine wundertätige Quelle, deren klares Wasser über die steilen Felsenwände herabsprang, die den Palmen und Orangenbäumen Schutz vor den rauhen Seewinden gewährten. Jaime kam näher und begrüßte die beiden Frauen. Dann sah er auch Pepet auftauchen, der im Gebüsch irgendein Tier aufgestöbert hatte. Gemeinsam setzten sie ihren Weg nach Can Mallorqui fort. Febrer, der an der Seite von Margalida ging, beschleunigte den Schritt, so daß sie bald ein Stück voraus waren, während die Mutter, auf Pepets Schulter gestützt, mühsam folgte.
Die arme Frau litt an einer Krankheit, über die sich der Arzt nicht klar werden konnte. Bei seinen seltenen Besuchen zuckte er ratlos die Achseln. So hatte sie ihre Zuflucht zu den Heiligen genommen und der Jungfrau der Cubells heute zwei dicke Wachskerzen geweiht, die von Pèp aus der Stadt besorgt waren.
Das eilige Gehen rötete Margalidas Wangen. Febrer blickte sie aufmerksam von der Seite an. Wo hatte er seine Augen gehabt, als er monatelang in ihr nur ein kleines, niedliches Mädchen, fast ein geschlechtsloses Wesen, sah? Neben ihm ging eine Frau! Die entzückendste Frau, die ihm je begegnet war!
»Margalida!« sagte er leise und mit Innigkeit, »Margalida!«
Er stockte. Der alte Lebemann erwachte in ihm. Der Hauch von Jugend und Reinheit, den diesblühende junge Leben ausströmte, weckte in ihm lüsterne Instinkte. Als Frauenkenner genoß er mehr in der Einbildung als mit den Sinnen den Duft dieses jungfräulichen, frischen Körpers.
Und dennoch, seltsam, empfand er plötzlich eine unüberwindliche Zaghaftigkeit, die ihn am Sprechen hinderte ...
»Margalida! Margalida!«
Fragend richtete das junge Mädchen die schönen Augen auf Febrer, der sich dazu zwang, endlich irgend etwas zu äußern. Er erkundigte sich nach den Aussichten der Bewerber. Hatte sie sich schon für einen entschieden? Und wen hatte sie erwählt? Den Ferrer? ... Den Cantó?...
Sie schlug verwirrt die Augen nieder und antwortete schüchtern, wie ein beschämtes Kind. Nein! Sie hatte überhaupt keine Lust, zu heiraten, weder den Cantó, noch den Ferrer, noch sonst irgendeinen anderen. Der Festeig mußte stattfinden, weil es so der Brauch war. Außerdem aber, erzählte sie errötend, machte es ihr Vergnügen, die neidischen Gesichter der Freundinnen zu sehen, die über die große Zahl der Bewerber außer sich gerieten. Für die Atlòts empfand sie eine gewisse Dankbarkeit, weil viele von ihnen immer wieder aus so großer Entfernung nach Can Mallorqui kamen. Aber lieben? Einen von ihnen heiraten?
Sie war allmählich langsamer gegangen, so daß ihre Mutter und Pepet sie überholt hatten und jetzt vorausgingen. Als die beiden sich nun allein auf dem Fußwege sahen, blieben sie unwillkürlich stehen.
»Margalida! ... Mandelblüte! ...«
Zum Teufel mit der Zaghaftigkeit! Febrer fand die Kühnheit seiner guten Zeiten wieder. Er neigte sichzum Ohr des jungen Mädchens und flüsterte ihm zärtlich zu:
»Und ich? Wie denkst du über mich, Margalida? Wenn ich nun deinem Vater eines Tages erklären würde, ich wollte mich mit seiner Tochter verheiraten?«
»Sie!« rief die junge Atlòta aus, »Sie, Don Jaime?«
Dieses Mal sah sie ihn ohne jede Schüchternheit an und fing an zu lachen. Ach, Don Jaime liebte es, sie zum besten zu halten. Vom Vater wußte sie, daß die Febrer äußerlich so ernst und würdig aussähen wie Richter, aber in Wirklichkeit immer aufgelegt wären zu Scherzen und Spaßen. Er wollte sich wohl wieder über sie lustig machen wie damals, als er ihr im Turm seine Braut aus Terrakotta zeigte, die ihn seit Tausenden von Jahren erwartet hatte.
Aber als sie den ernsten Blick Febrers gewahrte und sein bleiches Antlitz, in dem sich die Erregung spiegelte, wurde sie blaß. Ein anderer Mann stand vor ihr, ein Don Jaime, den sie bisher nicht kannte. Instinktiv trat sie einen Schritt zurück und lehnte sich wie schutzsuchend an einen Baum. Sie zwang sich zu einem Lächeln, als ob sie immer noch an einen Scherz glaubte.
»Nein«, fuhr Febrer mit Energie fort, »ich spreche vollkommen ernsthaft. Antworte mir, Margalida. Wenn ich mich auch am Festeig beteiligte, was würdest du mir antworten?«
Sie kauerte sich an den Stamm, als könnte sie so seinen heißen Blicken entgehen. Das schwache Bäumchen schwankte, und ein Regen von gelben Blättern überschüttete sie. Bleich, mit zusammengepreßten Lippen, unfähig, auch nur ein Wort hervorzubringen, stieß sie einen leisen Seufzer aus.
In ihren
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