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Die Toten befehlen

Titel: Die Toten befehlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vincente Blasco Ibañez
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ersten Male das Gefühl des Friedens überkommen haben. Aus den Fluten stiegen die ersten Götter empor. In die Betrachtung der zeitlosen Bewegung der Wogen versunken und eingewiegt durch die ewige Harmonie ihres Gesanges empfand der Mensch, daßetwas Neues, Mächtiges in ihm geboren wurde: eine Seele.
    Das Meer! Die Lebewesen, die es bevölkerten, waren ebenso wie diejenigen des Festlandes der Tyrannei ihrer Umwelt unterworfen. Durch Jahrtausende hindurch pflanzten sie sich in ewiger Wiederholung derselben Form und Art fort. Die Schwachen wurden von den Starken verfolgt, die ihrerseits noch Stärkeren als Beute dienten. So war es zu allen Zeiten gewesen. Das zum Kampf geborene, mit Küraß und Zangen ausgerüstete Tier, das in den dunklen Abgründen der Meerestiefe einen schonungslosen Krieg führte, hatte sich niemals mit dem schwachen, graziösen Fisch verbinden können, der in silberschimmerndem Kleide in dem durchsichtigen Wasser der Oberfläche spielte. Die Bestimmung des ersteren war, stark zu sein, zu vernichten, und wenn es sich waffenlos sah, mit gebrochenen Scheren, sich dem Unglück ohne Protest auszuliefern und unterzugehen. Besser war es, zu sterben, als seinen Ursprung, das Verhängnis der Geburt, zu verleugnen. Für die Starken gab es weder Befriedigung, noch Leben außerhalb ihres Milieus. Sie blieben Sklaven ihrer eigenen Größe. Die Rasse brachte für sie mit den Ehren auch das Unglück. Und so würde es immer sein. Die Toten waren die einzigen, die das Gegenwärtige bestimmten und regierten. Die ersten Wesen, die eine Tätigkeit entfalteten, bauten durch die Art und Weise ihrer Lebensführung den Käfig, in dem alle kommenden Generationen wie Gefangene ausharren mußten.
    Während Febrer diesen trüben Gedanken nachhing, war die Sonne untergegangen. Das Meer wurde beinahe schwarz und der Himmel bleigrau. Am Horizontezuckten die Blitze auf, die wie feurige Schlangen zu den Wogen niederzüngelten. Jaime fühlte auf Gesicht und Händen die ersten Regentropfen. Immer schneller folgten sich die Blitze, immer näher rückte das Gewitter. Trotzdem blieb er unbeweglich auf dem Felsrande sitzen. Erfüllt von einem dumpfen Zorn wider das Geschick, empörte er sich mit der ganzen Heftigkeit seines Charakters gegen die tyrannischen Fesseln der Vergangenheit.
    Und warum sollte man immer abhängig sein von den Vorfahren? Warum sollten die Toten befehlen? Warum sollte man sich fügen, wenn sie hartnäckig versuchten, unsern Weg zu kreuzen?
    Plötzlich brach das Gewitter los. Ein furchtbarer Blitz zerriß den Himmel und verwandelte das Meer in flüssiges Licht. Unmittelbar darauf erdröhnte ein betäubender Donner, dessen Echo von Gipfel zu Gipfel weiter hallte. In diesem Moment schien es Febrer, als ob ein wunderbares Licht, das er zum ersten Male sah, die Nebel, die bis dahin die Wahrheit verhüllt hatten, mit seinen blendenden Strahlen zerteilte. Ein neuer Mensch war in ihm erstanden und spottete jetzt über die Gedanken, die ihn noch eben beherrschten. Die Tiere dort unten zwischen den Klippen und Felsen und mit ihnen die ganze Tierwelt im Wasser und auf dem Lande waren Sklaven ihrer Umwelt. Ihnen befahlen die Toten. Denn, an unveränderliche Eigenschaften gebunden, mußten sie ebenso leben wie vor Jahrtausenden die Art, von der sie stammten. Und ebenso würde Jahrtausende nach ihnen ihre Gattung weiter existieren.
    Aber der Mensch war nicht ein Sklave seines Milieus. Als vernunftbegabtes Wesen konnte er es nach seinemBelieben umgestalten. In den primitiven Zeiten lebte er in Abhängigkeit von seiner Umgebung, aber sobald er anfing, die Natur zu besiegen und sich dienstbar zu machen, sprengte er diese Art verhängnisvoller Hülle, in der die anderen Geschöpfe gefangen blieben. Was bedeutete für Jaime das Milieu, in dem er geboren war? Er würde sich ein neues schaffen, wenn es ihm beliebte!
    Aber diesen Gedankengängen konnte Jaime nicht weiter folgen. Das Gewitter raste über ihm, und der Regen rauschte wie ein Wolkenbruch hernieder. Beim Licht der Blitze rannte er zum Turm mit der überströmenden Freude eines Menschen, der aus langer Gefangenschaft kommt und freie Bahn vor sich sieht.
    »Ich werde tun, was ich will!« schrie er und freute sich am Klang seiner eigenen Stimme. »Weder Tote, noch Lebende sollen mir befehlen! Zur Hölle mit meinen edlen Vorfahren! ... zur Hölle mit meinen alten Ideen!«
    Bei dem Gedanken an seine Ahnen stieg das Bild des berühmten Komturs Don Priamo vor ihm auf. Tapferer

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