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Die Toten befehlen

Titel: Die Toten befehlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vincente Blasco Ibañez
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nächsten Morgen nach der kleinen Hafenstadt, die ihm, der ganz Europa kennengelernt hatte, jetzt wie eine Großstadt vorkam. Er freute sich über die langen Häuserreihen, die mit roten Ziegeln ausgelegten Rinnsteine und die von buntgestreiften Markisen beschatteten Balkone. Die Schaufenster der kleinen Läden musterte er mit demselben Interesse wie früher die Luxuswaren auf den Boulevards von Paris oder in Regentstreet. Lange Zeit fesselten ihn die Auslagen eines Goldschmiedes, besonders die schön gearbeiteten Filigranknöpfe mit einem kleinen Stein in der Mitte. Und der Wunsch stieg in ihm auf, ein Dutzend dieser Knöpfe zu kaufen. Welche Überraschung für die Atlòta von Can Mallorqui, wenn er sie bat, sie als Schmuck für ihre Ärmel zu verwenden! Sicherlich würde sie Margalida von ihm annehmen, dem ernsten Herrn, dem sie kindlichen Respekt entgegenbrachte. Lästiger Respekt! Verfluchter Ernst, der nur störte! Aber der Erbe der Febrer mußte von diesem KaufAbstand nehmen, denn das Geld in seiner Tasche hätte nicht gereicht.
    Von hier ging er zu einem Waffenhändler und kaufte für Pepet das größte und schwerste Dolchmesser, das es im Laden gab, als kärglichen Ersatz für die Waffe des glorreichen Großvaters.
    Müde von seinem planlosen Schlendern durch das Hafenviertel und die engen steilen Straßen, die zu dem alten Fort hinaufführten, trat er mittags in das einzige Restaurant der Stadt. Im Speisesaal waren dieselben Stammgäste wie bei seinem ersten Besuche, junge Leutnants von dem Jägerbataillon, die mit gelangweilter Miene rauchten oder durch die Fenster die ungeheure Meeresfläche betrachteten.
    Bei Tisch klagten sie über das traurige Schicksal, ihre Jugend in diesem abgelegenen Winkel der Welt vertrauern zu müssen. Mallorca erschien ihnen wie ein Paradies, und voll Sehnsucht dachten sie an ihre Heimat in Spanien. Frauen! ... Das peinvolle Verlangen nach ihnen zitterte in ihrer Stimme und lag in dem Blick ihrer Augen. Wie eine Zuchthauskette lastete auf ihnen die strenge Tugend von Ibiza, die nur zweierlei kannte, entweder feindselige Gleichgültigkeit oder ein ehrenhaftes Verlöbnis, um sich möglichst bald zu verheiraten. Galante Worte führten hier auf geradem Wege zur Ehe. Wenn sich ein Mann einer jungen Dame näherte, so erwartete sie, ihn von seiner Absicht sprechen zu hören, eine Familie zu gründen.
    Der einzige Wunsch dieser Offiziere war, einen Urlaub nach Mallorca oder dem Festlande zu erhalten, um einige Zeit fern von der tugendhaften, ungeselligen Insel aufatmen zu können.
    Frauen! Sie sprachen von nichts anderem. UndFebrer, der an der gemeinsamen großen Tafel saß, gab ihnen stillschweigend recht. Auch ihn quälten Langeweile, Überdruß und die Vorstellung, sich in einem Gefängnis zu befinden, wo er die grausamsten Entbehrungen erdulden mußte. Jetzt erschien ihm die kleine Hauptstadt der Insel, in der die jungen Mädchen in klosterhafter Zurückgezogenheit lebten, von einer verzweifelten Monotonie erfüllt. Besser war es schon, draußen auf dem Lande zu leben, wo die Frauen mit naiver Seele sich ihrer natürlichen Zärtlichkeit hingaben, nur gehemmt durch den ihnen angeborenen Instinkt der Verteidigung.
    An demselben Nachmittag verließ Jaime die Stadt. Der Optimismus, den er noch vor wenigen Stunden gehabt hatte, war verschwunden. Jetzt bemerkte er, daß die schmutzigen Straßen des Hafenviertels Übelkeit erregten. Ein muffiger Geruch kam aus den Häusern, und in den Rinnsteinen wimmelten Schwärme von Insekten, die sich surrend aus den Pfützen erhoben, wenn der Schritt eines Vorübergehenden sie aufscheuchte. Er dachte an die Hügel in der Nähe seines Turms, deren Luft gewürzt war von dem starken Duft der wilden Kräuter und dem herben Salzgeruch des Meeres. Und seine neue Heimat schien ihm wie ein lächelndes Idyll zu winken.
    Ein Bauer nahm ihn auf seinem Karren mit bis nach San José. Von hier wandte er sich nach den Bergen, quer durch die Pinienwälder, deren Bäume die starken Stürme fast alle etwas gebeugt hatten. Der Himmel war bedeckt, die Luft warm und drückend. Dann und wann fielen schwere Tropfen, aber ehe die Regenwolken sich zusammenballen konnten, fegte sie ein Windstoß auseinander.
    Nahe bei der Hütte eines Kohlenbrenners sah Jaime zwei Frauen, die eilig zwischen den Pinienstämmen bergabwärts schritten. Es waren Margalida und ihre Mutter, die von der Klause der Cubells kamen. Neben dieser auf einer Höhe am Meere gelegenen Einsiedelei entsprang

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