Die Toten befehlen
dumpfem Groll. Er empfand den Einbruch dieser prahlerischen und verliebten Atlòts in Can Mallorqui fast als eine persönliche Kränkung. Bisher hatte er Pèps Haus ein wenig als sein eigenes betrachtet. Jetzt aber wurden alle diese Eindringlinge dort gastfreundlich empfangen, und ihm blieb nichts anderes übrig, als zu gehen.
Außerdem litt er darunter, daß sich die Familie nicht mehr wie in den ersten Zeiten ausschließlich mit ihm beschäftigte. Gewiß, Pèp und seine Frau sahen noch immer in ihm den Gebieter. Und Margalida sowohl wie ihr Bruder blickten zu ihm empor wie zu einem hohen, gewaltigen Herrn, aus fernen Landen hierher gekommen, weil es nirgendwo so schön war wie auf Ibiza. Aber dennoch stand er nicht mehr wie früher allein im Mittelpunkt ihres Interesses. Die Besuche dieser vielen jungen Leute und die Veränderungen, die sie in den Gewohnheiten des Hauses hervorgerufen hatten, brachten es mit sich, daß man Jaime etwas weniger Zuvorkommenheit zeigte. Die Zukunft Margalidas bereitete ihnen Unruhe. Wer verdiente es, ihr Gatte zu werden?
Sobald die Dunkelheit einbrach, beobachtete Febrer hartnäckig ein kleines Licht, das zu seinen Füßen schimmerte. Es war die Lampe von Can Mallorqui. Aber selbst an den Abenden, an denen die Familie allein um ihr Herdfeuer saß, versteifte er sich darauf, in seiner Abgeschiedenheit zu verbleiben. Nein, er würde nicht zu ihnen hinuntergehen!
Wo waren die wunderbaren Sommerabende, an denen er bis zu später Nachtstunde mit der ganzen Familie in der Weinlaube vor dem Hause saß! Eine leichte Brise wehte vom Meere herüber und brachte Erfrischung nach der Hitze des Tages. Der Duft blühender Blumen erfüllte die Luft, und über ihnen funkelten unzählige Sterne am tropischen Himmel. Margalida sang mit weicher Stimme alte Romanzen, und Pèp erzählte von seiner Soldatenzeit. Mit der Miene eines kühnen Forschers schilderte er die seltsamen Erlebnisse, die ihm damals, als er dem König diente,in den fernen phantastischen Ländern Katalonien und Valencia begegnet waren.
Der Hund lag zusammengekauert zu seinen Füßen. Die Augen aufmerksam auf seinen Herrn gerichtet, schien er seinen Worten zu lauschen. Bisweilen verschwand er, ohne einen Laut von sich zu geben, mit einem Satze in der Dunkelheit. Die feine Nase des Jagdhundes hatte einen Hasen oder ein Kaninchen gewittert. Manchmal aber richtete er sich mit feindseligem Knurren auf. Ein Schatten huschte in der Nähe des Hauses vorbei. Blieb der späte Passant stumm, so tat man, als ob man ihn nicht bemerke, denn es war uralte Sitte auf Ibiza, sich nach Einbruch der Dunkelheit außerhalb der Häuser nicht mehr zu grüßen. Jeder, der während der Nacht umherschweifte, hatte Gründe, unbemerkt bleiben zu wollen. Ein »gute Nacht« oder eine Bitte um Feuer konnte leicht mit einem Pistolenschuß beantwortet werden.
Häufig kam auch der alte Ventolera, der wußte, daß für ihn stets ein Gläschen Figòla bereitstand. Auch er suchte, zur Unterhaltung beizutragen. Am liebsten berichtete der Alte von den Kämpfen mit Piraten, an denen sein Vater als Schiffsjunge noch teilgenommen hatte. Manchmal erzählte er auch von den ungeheuren Schätzen, die von den Mauren und Römern an der Küste vergraben worden waren. Eine Höhle auf Formentera barg die aus Spanien und Italien zusammengeschleppte Beute der Normannen, goldene Heilige, Meßkelche, Ketten, Edelsteine und in Kornmassen aufbewahrte Goldmünzen. Ein schrecklicher Drache lag auf dem Schatz und bewachte ihn. Wer sich ihm nahte, wurde zerrissen und verschlungen. –
Die Normannen waren seit vielen Jahrhunderten tot; auch der Drache lebte nicht mehr. Aber der Schatz mußte noch auf Formentera sein. Wer ihn doch finden könnte! ... Die Zuhörer zitterten vor Erregung. Der Respekt, den ihnen das Alter des Erzählers einflößte, ließ sie nicht an dem Vorhandensein dieser Reichtümer zweifeln.
Wie schön war jene Zeit gewesen! Wie zufrieden und wunschlos hatte sich Jaime gefühlt!
Sein Groll steigerte sich noch an den Abenden des Festeigs. Ohne zu wissen warum stellte er sich in die Tür seines Turms und schaute verbissen nach Pèps Hause. Alles zeigte das gewohnte Aussehen, aber er bildete sich ein, in dem Schweigen der Nacht fremde Geräusche zu hören, den Klang von Liedern und die helle Stimme Margalidas. Der verhaßte Ferrer saß sicherlich dort unten, auch dieser arme Teufel von Cantó und alle die anderen rüden Atlòts in ihrer grotesken Tracht. Großer Gott! Wie war
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