Die Toten befehlen
großen Augen lag der angstvolle Ausdruck einfacher Menschen, die von vielen Gedanken bestürmt werden und vergeblich nach Worten ringen. Er, der Letzte der Febrer, aus dem vornehmsten Geschlechte von Mallorca, er wollte ein Bauernmädchen heiraten! War er von Sinnen?
»Margalida, ich bin nicht mehr ein großer Herr. Du bist reicher als ich. Dein Vater wünscht für dich einen Mann, der seine Felder bewirtschaftet. Soll ich es sein, Margalida? Könntest du mich liebhaben?«
Den Kopf gesenkt, stammelte sie unzusammenhängende Worte. Welch ein Wahnsinn! Das war doch alles unmöglich! Wie konnte er nur so etwas aussprechen. Er mußte träumen. Ganz gewiß, er träumte!
Aber plötzlich fühlte sie, wie Febrer ihre Hand zärtlich streichelte. Ihre Knie zitterten. Kaum konnte sie sich aufrechterhalten.
»Bin ich vielleicht zu alt für dich?« fragte er flehend. »Wirst du mich niemals lieben können?«
Seine Stimme war immer zärtlicher geworden, aber die Augen in seinem Gesicht erschreckten sie, diese Augen, die sie zu durchdringen schienen. Am ganzen Körper zitternd, entriß sie ihm ihre Hand und flüchtete, als wäre ihr Leben in Gefahr.
»Jesus, Jesus!«
Jaime folgte ihr nicht. Langsam strich er mit der Hand über seine Stirn und versuchte, Ordnung in seine Gedanken zu bringen. Der Schreck Margalidas und ihre ängstliche Flucht taten ihm leid, aber er bedauerte keins seiner Worte. Wie lange war er nicht von vagen Vorstellungen gequält worden, ohne sich über das Ziel seiner Wünsche klar werden zu können.Heute hatte er seinen Weg gefunden! Gut, daß auch Margalida ihn kannte!
Endlich schritt er weiter. Von einer Höhe konnte er Margalida mit den Ihrigen sehen, die, schon im Tal, den Weg nach Can Mallorqui einschlugen.
Ohne sich bei seinem düsteren Turm aufzuhalten, ging er bis zum Meer und ließ sich dort auf einen gigantischen Felsblock nieder, dessen Fuß durch den unaufhörlichen Wogenanprall tief ausgehöhlt war. Die Spitze hing weit hinaus über die Klippen und das Meer. Eine Sturmnacht konnte ihn aus dem erschütterten Gleichgewicht in die Tiefe werfen. Sein Fatalismus trieb Jaime, sich an den äußersten Rand zu setzen. Sollte der Fels stürzen, waren Qual und Sorgen für immer vorüber!
Die Sonne durchbrach noch einmal die zerrissenen Wolken. Ihre blutrote Scheibe ließ die ungeheure Meeresfläche wie in einer Feuersbrunst aufleuchten und verbrämte die schwarzen Gewitterwolken am Horizont mit scharlachroten Säumen. Für einen kurzen Augenblick schien es, als ob sich ein glühender Lavastrom über die Küste ausbreitete.
Jaime beobachtete, wie sich die Wogen zu seinen Füßen brachen und mit Getöse in die Höhlungen der Felswand stürzten. Die untergehende Sonne gab dem Wasser einen opalartigen Schimmer. Auf dem Grunde sah er, an die Felsen angeklammert, eine seltsame Vegetation, winzige Wälder, in denen sich phantastisch geformte Tiere schnell wie ein Pfeil oder mit plumper Schwerfälligkeit bewegten. Mit grauen oder rötlichen, stachelbesetzten Panzern bedeckt oder mit Zangen, Lanzen und Hörnern bewaffnet, machten sie Jagd aufeinander.
In dieser ungeheuren Einsamkeit kam sich Febrer sehr klein vor. Er glaubte nicht mehr an die überragende Stellung des Menschen in der Schöpfung und fühlte sich diesen kleinen Ungeheuern auf dem Meeresgrunde kaum überlegen. Diese Tiere waren für den Kampf des Lebens ausgerüstet und konnten sich aus eigener Kraft erhalten, ohne der Mutlosigkeit, den Demütigungen und der Trauer ausgesetzt zu sein, die ihn bedrückten.
Der grandiose Anblick des Meeres, grausam und schonungslos in seinem Zorn, überwältigte ihn und löste in seinem Gehirn zahllose Gedanken aus, die vielleicht neu waren, aber die er als verschwommene Erinnerungen an ein früheres Leben empfand; etwas, das er schon einmal gedacht hatte, nur wußte er nicht, wann und wo.
Ein Schauer von Ehrfurcht und instinktiver Anbetung überkam ihn. Er vergaß, was sich ereignet hatte, und beugte sich ergriffen vor der ewigen Schönheit des Meeres. Das Meer ...! Er dachte an den Ursprung der Menschheit, an die ersten elenden Menschen, die dem Tiere noch so nahe standen, gemartert und überall zurückgestoßen von einer üppigen, aber feindseligen Natur, die wie ein jugendlicher, kräftiger Körper die Parasiten zu vernichten oder zu entfernen sucht, die auf Kosten seines Organismus leben wollen. Am Gestade des Meeres, beim Anblick dieser ungeheuren mysteriösen Göttlichkeit mußte den Menschen zum
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