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Die Toten befehlen

Titel: Die Toten befehlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vincente Blasco Ibañez
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es nur möglich, daß ihr diese rohen Burschen gefielen? ...
    Wenn das Kaplanchen ihm am folgenden Tage das Essen zum Turm brachte, fragte ihn Febrer nach dem Verlauf des Abends. Und während er Pepets Erzählungen lauschte, glaubte Jaime die Familie vor sich zu sehen, wie sie hastig ihr Abendbrot aß, um pünktlich bereit zu sein. Margalida nahm von einem Haken an der Decke ihres Zimmers den schweren Sonntagsrock, streifte ihn über, legte ein rot und grün gemustertes Seidentuch kreuzweise über die Brust und ein kleineres in denselben Farben auf ihr Haar. Um das Ende ihres langen Zopfes schlang sie ein breites Band und legte dann die goldene Kette um, die ihr die Mutter überlassen hatte. So geschmückt, setzte sie sich ineiner Ecke der Küche auf einen Stuhl, auf dem der Abrigais, der dicke Winterschal, ausgebreitet war.
    Der Vater steckte seine Pfeife an, und die Mutter flocht an einem Binsenkorb, während das Kaplanchen sich auf der Veranda aufhielt, wo sich die Atlòts zusammenfanden.
    Nachdem sie unter sich die Reihenfolge festgesetzt hatten, in der sie mit Margalida plaudern wollten, klopfte einer von ihnen an die Tür.
    »Avant qui siga!« rief Pèp und gab sich mit dieser formellen Aufforderung, einzutreten, den Anschein, als würde er durch einen unerwarteten Besuch überrascht.
    Die Atlòts traten näher, begrüßten die Familie und schauten aufmerksam zu dem jungen Mädchen hinüber, neben dem ein leerer Stuhl bereit stand, auf dem sie nacheinander Platz nahmen, um Margalida von ihrer Liebe zu sprechen und zu versuchen, das Herz der Atlòta zu gewinnen.
    Aber in den beiden Monaten, die der Festeig schon währte, konnte sich keiner der Bewerber eines Vorsprungs rühmen. Margalida hörte zu, lächelte und antwortete mit einer erstaunlichen Geschicklichkeit, die alle gleich behandelte. So hatte sie bis jetzt blutige Zusammenstöße unter einer streitlustigen und bewaffneten Jugend vermieden.
    »Und der Ferrer?« fragte Don Jaime, dessen Gedanken sich viel mit dem »verfluchten Vèrro« beschäftigten.
    Pepet schüttelte den Kopf. Der Ferrer war nicht weiter als die anderen, und das Kaplanchen schien es nicht sehr zu bedauern. Seine Begeisterung für den Vèrro hatte sich etwas abgekühlt.
    Die Liebe weckt bei den Männern den Mut, und seit der Ferrer den Atlòts beim Festeig als Rivale gegenüberstand, verspürten sie keine Angst mehr vor ihm, ja, sie wagten es sogar, ihm entgegenzutreten. Eines Abends war er mit einer Gitarre erschienen. Als die Reihe an ihn kam, setzte er sich neben Margalida, stimmte sein Instrument und begann, spanische Lieder zu singen. Vorher aber hatte er aus dem Gürtel eine doppelläufige Pistole gezogen, die er mit gespannten Hähnen auf ein Bein legte, für den ersten, der es wagen würde, ihn zu unterbrechen. In tiefem Stillschweigen und mit Blicken, die nichts verrieten, hörten ihm die anderen zu. Er sang, solange er wollte, und steckte dann die Pistole mit Siegermiene ein. Aber auf dem Heimwege warfen ihn ein paar trotz der Dunkelheit sichergezielte Steine zu Boden, und eine ganze Reihe von Abenden vermied er, am Festeig teilzunehmen, um nicht seinen verbundenen Kopf zeigen zu müssen. Er machte keinen Versuch, in Erfahrung zu bringen, aus wessen Hand die Steine kamen. Seine Rivalen waren zahlreich, und außerdem mußte er berücksichtigen, daß auch ihre ganze Verwandtschaft sich sofort bereitgefunden hätte, für die Ehre der Familie einen Vendettakrieg zu führen.
    »Ich glaube«, äußerte sich Pepet, »daß der Ferrer gar nicht so tapfer ist, wie man sagt. Wie denken Sie darüber, Don Jaime?«
    Sobald Margalida mit dem letzten der Besucher geplaudert hatte, rief ihr Vater mit lauter Stimme:
    »Halb zehn! Ins Bett! Gute Nacht!«
    Dieser kategorischen Aufforderung folgten die Burschen sofort und verließen das Haus.
    Der ständige Umgang mit den Atlòts, die alleWaffen trugen, erweckte in Pepet immer von neuem die Sehnsucht nach dem Dolchmesser des Großvaters. Wann würde Don Jaime sich bei seinem Vater für ihn verwenden, damit man ihm endlich dieses Kleinod der Familie aushändigte?
    »Don Jaime«, fuhr der Junge keck fort, »ich muß Sie an Ihr Versprechen erinnern. Was kann ein Mann wie ich ohne Waffe anfangen? Nirgendwo kann ich mich sehen lassen!«
    »Geduld, Pepet«, antwortete Febrer, »an einem der nächsten Tage gehe ich zur Stadt und kaufe dein Messer.«
    Jaime, der ohnehin den Wunsch verspürte, einmal neue Eindrücke in sich aufzunehmen, wanderte am

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