Die Toten der Villa Triste
plötzlich die Organisation eingefallen, die Saffy erwähnt hatte – die von Marias Familie geleitet wurde und sich um ehemalige Partisanen kümmerte –, und er war abrupt verstummt. Natürlich hätte er seinen nicht unbeträchtlichen Einfluss spielen lassen können, oder er hätte sich persönlich an die Organisation wenden und um Hilfe bitten können. Aber damit wäre die Sache offiziell geworden. Und möglicherweise an die Öffentlichkeit gedrungen. Was nicht nur absolut unflorentinisch, sondern ein Gräuel für die so verschwiegenen Grandolos gewesen wäre.
Maria hatte ihn leicht verdattert angesehen, als er, statt zu protestieren, lächelnd die Hand an ihren Ellbogen gelegt und gesagt hatte: »Wie reizend. Ich würde liebend gern mitkommen.«
Später hatte er sich ermahnt, dass es nur ein geringer Preis war und dass er damit im schlechtesten Fall wenigstens das ausgefallene Sonntagsessen wettmachen konnte, weil er auf diese Weise den Abend mit Saffy und Leo verbrachte, die ihn während der folgenden Stunde immer wieder angestarrt hatten, als hätte er komplett den Verstand verloren.
Wie erwartet war der Abend zu laut, das Restaurant prätentiös und das Essen mittelmäßig gewesen. Aber Pallioti hatte überlebt, und dafür hatte er bekommen, was er wollte. Geschmeichelt, dass er sich dazu herabgelassen hatte, mit ihr zu sprechen, hatte ihm Maria jede nur erdenkliche Hilfe angeboten. Als sie in ihrem Eifer noch angerufen hatte, bevor auch nur die erste Runde Champagner ausgeschenkt worden war, hatte er sich wie ein Heiratsschwindler gefühlt. Aber ihr Anruf hatte Früchte getragen. Als er am nächsten Morgen ins Büro kam, überreichte ihm Guillermo einen Zettel mit einer Adresse und eröffnete ihm, er habe einen Termin bei einer Wissenschaftlerin von »Gedenkt der Gefallenen«.
Jetzt stand er vor einer Büroflucht in einem teuren, anonymen Gebäude nicht weit von der Piazza D’Azeglio. Falls er erwartet hatte, hier auf vornehme Exzentriker zu stoßen, ältere Damen in Strickjacken oder kleine alte Professoren in speckigen Tweedanzügen, die mit alten Aktenordnern hantierten, dann hatte er sich getäuscht. Die junge Frau, die ihn empfing, wirkte frisch und professionell. Sie lächelte breit und streckte ihm eine gepflegte Hand entgegen.
»Ispettore«, sagte sie. »Wir haben Sie bereits erwartet.«
Sie geleitete ihn in einen Raum mit mehreren Sofas, niedrigen Tischen voller Zeitschriften und, so wie es aussah, ihrem Schreibtisch. Darauf lagen neben einem Blumentopf mit einer Orchidee und einem riesigen Computer ein paar akkurat gestapelte Papiere. Nirgendwo war auch nur ein Aktenordner zu sehen. Sie hätten sich im Vorzimmer eines teuren Psychiaters, eines Anwalts oder einer Immobilienfirma befinden können.
»Ich bin Graziella Lombardi«, stellte sie sich vor, während sie über den dicken blauen Teppich auf eine geschlossene Tür zusteuerte. »Die Verwalterin. Ich würde Ihnen natürlich gern helfen. Aber unsere Direktorin hat darauf bestanden, Sie persönlich zu empfangen.«
Sie klopfte an die Tür – die wie der übrige Raum blassgolden gestrichen war, wobei der Türstock blassblau hervorgehoben worden war –, drückte sie einen Spaltbreit auf und sagte: »Er ist jetzt da, Signora.«
Pallioti hörte ein Murmeln. Dann stand jemand aus einem Stuhl auf, die Tür schwang auf, und die Direktorin von »Gedenkt der Gefallenen« trat in den Raum.
Sie trug einen blassrosa Pullover, dazu passenden Lippenstift und ein schlichtes Perlenkollier. Die weißen Haare umrahmten das Gesicht in losen, weichen Locken. Pallioti hatte keine Ahnung, wie alt sie war, und begriff sofort, dass das auch nicht zählte. Die Frau, die ihm die Hand entgegenstreckte, widerlegte alle Vorurteile, dass Schönheit etwas mit Jugend zu tun hatte.
»Ispettore Pallioti«, sagte sie, und auf ihrem Gesicht leuchtete ein Lächeln auf, »es ist mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen. Ihre Schwester ist meiner Nichte wirklich eine gute Freundin.«
Pallioti reichte ihr nervös die Hand. Er hatte nicht gedacht, dass Maria sich an ihre Großtante persönlich wenden würde. Ihm hätte ein Archivar genügt, mehr als genügt. Plötzlich hatte er Skrupel, Cosimo Grandolos Witwe wegen einer äußerst banalen Angelegenheit zu belästigen.
»Bitte, bitte.« Signora Grandolo deutete auf die offene Tür, die offensichtlich zu ihrem Büro führte. »Kommen Sie doch herein«, sagte sie. »Und sagen Sie mir, wie ich Ihnen helfen kann.«
»Mein Mann
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