Die Toten der Villa Triste
Waffenstillstand verhaftet und nach Deutschland abtransportiert. Er hatte zeitlebens Schuldgefühle, weil er damals nicht mitkämpfen konnte. Weil er nicht für sein Land gekämpft hatte. Sein ganzes Leben versuchte er, das wiedergutzumachen.«
Die Geschichte kam ihm nicht unbekannt vor.
»Ich glaube«, sagte Pallioti, »dass es vielen damals ähnlich ging. Vor allem Männern.«
Signora Grandolo lächelte. »Ja. Ich glaube, dieses Kreuz haben vor allem Männer zu tragen. Nicht ausschließlich. Aber ich war schon immer überzeugt, dass Frauen besser darin sind, ihre Reue irgendwann abzulegen. Jedenfalls«, meinte sie dann, »wollte Cosimo nach besten Kräften helfen. Daher«, sie schloss in einer ausgreifenden Geste das Büro ein, »›Gedenkt der Gefallenen‹. Inzwischen würde es natürlich auch ohne mich reibungslos funktionieren. Dass ich immer noch hier sitze und mich einmische, ist nur ein Zeitvertreib für eine alte Frau mit zu viel freier Zeit. Interessanter als Stricken oder Kartenspielen.« Sie lachte. »Und es ist gefahrloser, als mich in das Leben meiner Töchter einzumischen. Haben Sie Kinder, Ispettore?«
Pallioti schüttelte den Kopf.
»Nur die Polizei.« Signora Grandolo lächelte.
Und Seraphina, lag ihm auf der Zunge. Dann merkte er, dass sie ihn aufziehen wollte.
»Also«, sagte sie schnell, bevor er verlegen werden konnte, »ich nehme an, Sie sind nicht hergekommen, um über solche Themen zu sprechen – die Skrupellosigkeit der Frauen und die Empfindsamkeit der Männer.«
»Nein.« So unterhaltsam das auch gewesen wäre.
Signora Grandolo betrachtete ihn aufmerksam. Dann sagte sie: »Also, erzählen Sie. Was kann ich für Sie tun? Maria meinte, Sie wollten mich um einen Gefallen bitten.«
»Ja.« Pallioti lehnte sich in den Sessel zurück, den sie ihm angeboten hatte. »In einem Wort: Giovanni Trantemento. Oder genauer gesagt in zweien.«
Signora Grandolo nickte. »Das habe ich mir fast gedacht.« Sie zog eine Schublade auf, nahm eine Akte heraus und legte sie auf ihren Schreibtisch. »Ich habe mir die Freiheit genommen und Graziella gebeten, alles zusammenzustellen, was wir über ihn wissen. Leider ist es nicht viel. Eigentlich beschäftigen wir uns weniger mit den Partisanen selbst als mit ihren hilfsbedürftigen Angehörigen – vor allem den Kindern. Die inzwischen selbst Eltern oder Großeltern sind. Wie es Kinder meistens werden.« Sie zauberte eine Brille hervor, setzte sie auf und schlug die Akte auf. »So wie es aussieht, hatte er keine.«
Von seinem Sitzplatz aus konnte Pallioti erkennen, dass die Akte nur ein einziges beschriebenes Blatt enthielt. »Nein. Eine Schwester und ein Neffe in Rom sind seine einzigen lebenden Angehörigen. Der Vater fiel in Russland. Die Mutter starb Ende des Krieges. In der Schweiz.«
Sie sah auf. »In der Schweiz?«
»Ja. Er hatte sie ins Ausland gebracht. Die Mutter starb dort in einem Sanatorium. Die Tochter heiratete später und zog dann nach Rom.« Nach allem, was er inzwischen über »Gedenkt der Gefallenen« erfahren hatte, war es höchst unwahrscheinlich, dass man hier mit den Trantementos zu tun gehabt hatte, ging ihm verspätet auf. »Verzeihen Sie«, sagte er. »Jetzt, wo ich weiß, womit Sie sich beschäftigen, bezweifle ich, dass Signor Trantemento ein Fall für Sie gewesen war.«
Sie nickte, schloss die Akte und schob sie ihm über den Tisch zu. »Dann«, sagte sie, »weiß ich nicht recht, wie ich Ihnen sonst noch helfen könnte.«
»Ehrlich gesagt«, meinte Pallioti, »gäbe es da noch jemanden.«
Ihre blauen Augen fixierten ihn. »Noch jemanden?«
Pallioti beugte sich vor. »Einen gewissen Roberto Roblino. Möglicherweise aus dem Süden. Er kämpfte ebenfalls bei den Partisanen und wurde, genau wie Trantemento, zum sechzigsten Jahrestag mit einem Orden ausgezeichnet. Wir haben Schwierigkeiten«, ergänzte er mit wohlüberlegten Worten, »seine Vergangenheit auszuleuchten.«
Während er das sagte, dachte er an Eleanor Sachs’ kleines, eindringliches Gesicht, das so ganz anders wirkte als das der Frau ihm gegenüber. Und an ihre Andeutung, dass Giovanni Trantemento und Roberto Roblino möglicherweise befreundet gewesen waren. Andererseits hatte er heute Morgen mit Enzo gesprochen, der ihm erneut erklärt hatte, dass sie keine Verbindungen zwischen den beiden entdeckt hätten. Genauso wenig, wie sie Roberto Roblinos Geburtsurkunde gefunden hatten.
»Soweit ich erfahren habe«, erläuterte er, »wurden nach dem Krieg viele
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