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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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für Haus mussten wir sie vertreiben. Wie die Ratten. Die Faschisten zu erschießen war, als würden wir Ratten erschießen.«
    Pallioti trat an die Wand und betrachtete eingehend das Schwarz-Weiß-Foto, auf das Achilleo Venta gedeutet hatte. Ein paar junge Männer, eigentlich noch Knaben, standen aufgereiht vor einer eingestürzten Wand. Sie waren hemdsärmelig. Einige trugen kurze Hosen. Manche hatten Gewehre geschultert. Andere hielten Pistolen in der Hand. Daneben hing, ebenfalls eingerahmt, eine Schatulle genau wie jene, die ihm Maria Valacci gezeigt hatte, mit einem Orden auf einem Bett aus weißem Satin, dessen Band grell gegen das verblichene Foto abstach.
    »Ist das Massimo?« Pallioti tippte ungenau auf das Glas.
    Der alte Mann nickte, ohne auch nur aufzusehen. »Der Zweite von links«, sagte er.
    Pallioti hatte nur geraten, aber jetzt, da er das Bild genauer betrachtete, erkannte er das kantige Gesicht, die furchtlosen, flachen Züge und die breiten Schultern wieder, unter denen bereits der massige Brustkorb des Mannes auf dem Video zu erahnen war.
    »Haben Sie ihn gut gekannt?«
    Er stellte die Frage ganz ruhig und hoffte gleichzeitig, nicht zu weit gegangen zu sein und damit jene Falltür zugeschlagen zu haben, die sich in Achilleo Ventas Kopf geöffnet und ihn verleitet hatte, eben doch »ein Interview zu geben«.
    »Gekannt?« Er schnaubte. »Ich kenne ihn immer noch. Und werde ihn mein Leben lang kennen. Was bleibt mir auch anderes übrig?«
    »Wieso?«
    Pallioti drehte sich um. Der Alte war wieder ans Fenster gerollt und starrte angestrengt auf die Felder. Eine der Sauen hatte das Wühlen aufgegeben und kratzte sich jetzt den Rücken, indem sie im Rhythmus einer Fantasiemelodie hin- und herschwang und sich dabei an einer schlammigen Eisenkette rieb, die zwischen zwei Pfosten gespannt war.
    »Er ist mein Vetter«, sagte Achilleo Venta schließlich. Er sah auf. »Balestro. Der Mädchenname meiner Mutter. Er ist der Junge ihres Bruders. Mein Vetter Piero.« Er schnaubte wieder. »So aufgeblasen, dass er fast platzt. Immer in allem der Beste. Darum haben wir ihn damals Massimo genannt. Ich habe ihn verehrt.«
    Pallioti spürte Eleanor Sachs’ Miene eher, als dass er sie wahrnahm. Ehe er sie daran hindern konnte, fragte sie: »Warum hat er seinen Namen nicht geändert, so wie alle anderen?«
    Der Alte drehte den Rollstuhl mit quietschenden Reifen in ihre Richtung. Sein Gehör funktionierte offenbar noch tadellos.
    »Warum sollte er?« In seiner Stimme schwang schwerer Sarkasmus. »Warum sollte Piero Balestro seinen Namen ändern? Er hatte doch nichts zu verbergen! Er war ein Held! Er brauchte sich für nichts zu schämen. O nein. Nicht Massimo!« Er rollte die Worte über die Zunge, bis sie obszön klangen. Irritiert wich Eleanor Sachs einen Schritt zurück. Der Fäustling landete unter ihrem Schuh.
    Achilleo Venta lachte. »Massimo«, verkündete er, »war immer besser als alle anderen.«
    Pallioti bückte sich und hob den Handschuh auf. Er legte ihn auf den Tisch. Achilleo Venta schnaufte schwer. Seine Kiefer mahlten. Ein dünner Speichelfaden tropfte auf sein Kinn. Er wischte ihn kopfschüttelnd weg, als hätte ihn der eigene Zornesausbruch überrascht und gleichzeitig in Verlegenheit gebracht. »Peter Bales.« Die Worte kamen nur als Flüstern. »So nannte er sich manchmal auch. Später. Wenn ihm danach war. Peter Bales. Falls Sie das interessiert.«
    Pallioti wartete kurz ab. Dann fragte er: »Wie haben Sie das mit dem ›Schämen‹ gemeint?«
    »Pah.« Der Alte wedelte mit der Hand, als wollte er die Frage verscheuchen.
    Pallioti hakte ganz behutsam nach.
    »Signor Venta«, fragte er noch einmal. »Welchen Grund hätte Massimo denn gehabt, sich zu schämen?«
    Achilleo Venta blickte in seinen Schoß. Er seufzte und versuchte, die Verbitterung zu verbergen, die so unvermutet ausgebrochen war – die endlich erblüht war, nachdem sie, wie Pallioti vermutete, ein Leben lang fest weggeschlossen gewesen war und wie ein giftiges schwarzes Samenkorn im Herzen des Lämmchens geruht hatte.
    »Jeder hat etwas zu verbergen«, murmelte Achilleo Venta schließlich. »Sagt man das nicht? Selbst wenn man ein vornehmer Arzt ist.«
    »Piero Balestro war Arzt?«
    »Er wurde einer. Später.«
    Die Stimme des Alten hatte sich zu einem Murmeln gesenkt. Die Worte kamen gestelzt, halblaut wie ein Gebet, ein geheimer Katechismus des Abscheus, den er Tag für Tag, Jahr für Jahr heruntergebetet hatte wie einen

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