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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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auch.«
    »Papa!«
    Pallioti spürte einen kalten Luftzug, drehte sich um und sah eine eindrucksvolle Gestalt in der offenen Tür stehen. Unter den dicken Schulterpolstern, mit dem Overall und den Stiefeln war schwer zu sagen, ob er eine Frau oder einen Mann vor sich hatte. Nur der lange dunkle Zopf, der über die Schulter hing, verriet sie.
    »Signora Venta?« Pallioti straffte sich, während sie ins Zimmer kam.
    »Wer sind Sie, verflucht noch mal?«, fragte sie über seine ausgestreckte Hand hinweg. »Und was machen Sie verflucht noch mal in meinem Haus?«
    Pallioti sah sie kurz an und beschloss, dass hier jede Höflichkeit vergebens war. Er zog seinen Ausweis.
    »Ihr Vater war so freundlich, mit uns zu sprechen.« Pallioti fing Eleanors Blick auf. »Das war sehr großmütig von ihm, und wir wollten gerade gehen.«
    »O nein, nicht so schnell. Einen Moment, verflucht noch mal«, fuhr sie ihn an. »Mein Vater ist ein alter Mann, er ist ein Held. Sie können doch nicht einfach hier hereinplatzen und …«
    Agata Venta schnappte nach dem ausgestreckten Ausweis, war aber nicht schnell genug. Mit ausgestreckter Hand schimpfte sie weiter, während Pallioti Eleanor am Arm packte und zur Tür schob. Er winkte dem alten Mann zum Abschied zu und meinte Achilleo Venta lächeln zu sehen.
    Auf dem Geländer lagen zwei tote Fasane, deren ausgerenkte Köpfe blind in den Hof hinunterwiesen. Eine aufgeklappte Flinte lag daneben. Den Hund konnte Pallioti nirgendwo entdecken; wahrscheinlich war er irgendwo angekettet. Sobald sie aus dem Haus traten, begann er, wütend zu bellen. Sie waren schon auf der Treppe, er dicht hinter Eleanor, als ihnen jemand nachrief.
    »Dottore!«
    Pallioti drehte sich um.
    Vor lauter Eile, sie noch zu erwischen, war die Decke von Achilleo Ventas Schoß gerutscht und hatte kleine, krumme Beine entblößt. Sie steckten in einer grünen Wollhose, die schon bessere Tage gesehen hatte. Eine rote Socke leuchtete aus einem Loch in den Pantoffeln, die man wie bei einem Kind an seinen Füßen festgeschnürt hatte. Das Gesicht unter dem kecken, schief sitzenden blauen Barett hatte zu leuchten begonnen. Die milchigen Augen blinzelten.
    »Wissen Sie, wie ich ihn immer genannt habe?«, fragte er. »Massimo? Ich war sein Lämmchen. Aber wissen Sie, wie ich den Dreckskerl hinter seinem Rücken nannte?«
    Pallioti schüttelte den Kopf.
    Agata Venta war hinter ihrem Vater auf die Veranda getreten. Sie ragte unheilvoll hinter seinem Rollstuhl auf. Ihr Mund stand offen. Sie wollte nach ihm fassen, aber etwas in der Stimme des alten Mannes ließ sie innehalten.
    »Jesus«, sagte Achilleo Venta. Er lachte bellend. »Das war mein persönlicher Witz.«
    Er griff an die Räder seines Rollstuhls und rollte an die Treppe.
    »Jesus Christus.« Er hakte die Bremse ein. »So habe ich Massimo immer genannt.« Sein vogelhafter Brustkorb hob und senkte sich hektisch. Sein Blick suchte den Palliotis. »Wollen Sie wissen, warum?«, fragte er.
    Pallioti nickte. Er spürte Eleanor Sachs’ Hand, deren Finger sich in seinen Ellbogen bohrten.
    »Warum?«
    »Ich nannte ihn Jesus«, die Sehnen im Hals des Alten spannten sich an, so weit reckte er den Kopf vor, »wegen seiner wundersamen Wiederauferstehung. Jesus«, flüsterte Achilleo Venta. »Weil er in der Hölle gelandet war. Und nach drei Tagen von den Toten auferstanden war.«

30. Kapitel
    »Was ist da drinnen gerade passiert?«
    Beide hatten geschwiegen, seit sie den Bauernhof verlassen hatten. Pallioti hatte den Wagen zurückgesetzt, zügig gewendet und ihn über den holprigen Weg zurückgelenkt, bis das aufgeregte Gebell hinter ihnen verweht war wie eine Rauchfahne. Das war vor fünf Minuten gewesen. Jetzt starrte Eleanor Sachs aus dem Fenster. Sie fuhr sich mit der Hand durchs Haar und schüttelte dann den Kopf.
    »Er nannte Massimo damals Jesus«, wiederholte sie, »weil er nach drei Tagen von den Toten auferstanden war. Was soll das heißen? Wenn Sie mich fragen«, sagte sie zu Pallioti, »hat er nicht mehr alle Tassen im Schrank. Geht es darum, dass Massimo in der Villa Triste war? Wie lange? Drei Tage? Vier? Wieso sollte das wichtig sein? Wer zählt da schon nach?«
    Achilleo Venta, dachte Pallioti. Achilleo Venta hatte nachgezählt. Er zählte seit gut sechzig Jahren nach.
    Die Bemerkung des Alten tanzte ihm im Kopf herum – sie vermischte sich mit dem Bild eines knallblauen Fäustlings, von fleckigen Wollhosen und Walnusshaut, schrumpelig und faltig wie die eines frisch

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