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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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Rosenkranz.
    »Wir anderen durften uns beschießen lassen. Durften in unsere Häuser zurückkehren, die zerstört, niedergebrannt, ausgeplündert, vollgeschissen worden waren. Durften um einen Kanten Brot betteln. Oder verhungern. Beschissene deutsche Minen aus unseren Feldern wühlen, falls wir es überhaupt zurück dorthin schafften. Während der feine Herr Medizin studierte. In Amerika. Doctor Peter Bales.«
    »Wie kam es dazu?«
    Achilleo Venta starrte auf seine Hände, die beinahe nutzlos in seinem Schoß lagen. »Wenn Sie mehr wissen wollen, müssen Sie ihn schon selbst fragen.«
    Pallioti nickte. »Das würde ich wirklich gern.«
    »Also, das ist nicht weiter schwierig!« Der Kopf des Alten ruckte hoch. Seine Stimme bebte vor Zorn. »Er wohnt in Siena. Massimo, Massimo«, brummelte er und drehte den Rollstuhl wieder weg. »Im verflucht noch mal größten Haus in der ganzen Straße. Il Castello. Il Palazzo. Natürlich.«
    Über die gebeugte Gestalt mit den eingesackten Schultern und die verblichene Wolle des blauen Baretts hinweg fing Pallioti Eleanors Blick auf. Sie wirkte gleichzeitig verwirrt und aufgeregt. Sie hatten Massimo gefunden, eigentlich ohne ihn richtig suchen zu müssen, aber keiner von beiden wusste, was genau Achilleo Venta so in Rage versetzt hatte. Offenbar ärgerte er sich einfach, dass sein Vetter existierte. Vielleicht genügte das ja. Vielleicht war es schon immer so gewesen, schon als sie noch kleine Kinder gewesen waren, dachte Pallioti. Unter Verwandten ging es meist nicht allzu feinfühlig zu – das galt für die nähere wie die fernere Verwandtschaft. Manchmal waren sich Cousins genauso nahe wie Geschwister. Liebe und Hass, Eifersucht und Zuneigung, alles in ein einziges Leben gedrängt. Wenn dann noch ein Krieg und der verzweifelte Kampf ums Überleben dazukamen, war nicht vorherzusehen, was sich daraus entwickeln würde.
    »Signor Venta«, fragte er vorsichtig, »war Ihr Cousin Piero, Massimo, damals der Anführer Ihrer GAP-Einheit?«
    Achilleo Venta sah ihn kurz verständnislos an, so als hätte er vergessen, dass Pallioti und Eleanor im Raum waren. Dann schüttelte er den Kopf und sagte: »Natürlich. Massimo war immer und überall der Anführer, nicht wahr?«
    »Hat er Ihren Decknamen ausgesucht?«
    »Lämmchen.« Achilleo Venta lächelte, aber seine Hände zuckten hektisch über seinen Schoß. »So nannte mich meine Mutter, als ich noch ein kleines Kind war«, erklärte er. »Massimo fand das zum Lachen. Er hielt das für einen sagenhaften Witz.«
    »Er ist nicht besonders komisch.«
    Achilleo Venta befingerte den verbliebenen Handschuh, der an seinem Jackenärmel baumelte.
    »Ich fand den Namen schrecklich«, sagte er gleich darauf. »Aber er musste immer der Chef sein. Wenigstens glaubte er, es zu sein. Andere waren da anderer Ansicht, aber was hätte das zur Sache getan?«
    »Welche anderen?« Pallioti beugte sich vor und versuchte, dem alten Mann ins Gesicht zu sehen. »Lilia?«, fragte er.
    Es war ein Schuss ins Blaue gewesen, aber Achilleo Venta nickte. Er schaute auf seine Hände, auf die knotigen Finger, die ein Loch in den Handschuhdaumen bohrten. Dann entdeckte er einen losen Faden und riss daran.
    »Lilia«, bestätigte er. »Lilia und der andere auch. Der Junge. Nicht, dass man sie jemals einzeln gesehen hätte.«
    »Sie waren eins«, murmelte Pallioti, den Blick fest auf das Gesicht des alten Mannes gerichtet.
    Achilleo Venta nickte wieder. Seine Hände kamen zur Ruhe. »Sie waren eins.« Er sah Pallioti an. »Das machte Massimo rasend«, sagte er. »Trotzdem bekam er nicht alles, er bekam nicht immer alles, was er wollte.«
    »Lilia bekam er nicht?«
    Achilleo Venta lächelte. Seine rissigen Lippen dehnten sich über den zahnlosen Kiefern. »Nein«, sagte er. »Lilia nicht. Und sie hätte zehn Männer aufgewogen.«
    »Waren Sie im Juni immer noch im Krankenhaus?«
    Der alte Mann schwieg versonnen. Sein Blick ging an Pallioti vorbei in eine undefinierbare Ferne.
    »Sie brachten mich nach Fiesole. In das Kloster, wo sie die Verrückten und die Krüppel unterbrachten. Schwächlinge wie mich. Sie sagten, es wäre was mit meinen Lungen. Im Juni holte Massimo mich. Er brachte mich fort und zu einem Arzt. Er beschaffte mir Medikamente. Dann gingen wir in die Stadt zurück. Um Ratten zu erschießen.«
    »Und Lilia?«
    Der unstete Blick richtete sich wieder auf Pallioti, heftete sich auf sein Gesicht.
    »Weg«, flüsterte der Alte. »Wie alle anderen

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