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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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Stimme klang fast quengelig.
    Pallioti setzte die Tasse ab. Ihr Tonfall erinnerte ihn an die dreizehnjährige Saffy, die damals durch nichts zu versöhnen gewesen war. Als hätte Eleanor seine Gedanken gelesen, beugte sie sich vor.
    »Sie sind mir etwas schuldig«, sagte sie. »Ohne mich wären Sie gar nicht hier.« Sie sah ihn kurz an und nahm dann einen Schluck Kaffee. »Oh, ich weiß, Sie sind von der Polizei. Sie wären auch ohne mich hierhergekommen. Irgendwann. Aber Sie wären jetzt nicht hier. Nicht so schnell. Wir hatten einen Deal.« Sie sah ihn wütend an. Ihre Wangen hatten sich weiter gerötet und ließen ihre Augen noch heller strahlen. »Sie könnten mir zumindest die Wahrheit sagen.«
    »Ich weiß doch nicht, was die Wahrheit ist.« Pallioti schüttelte den Kopf. »Ehrlich gesagt bezweifle ich, dass wir sie je erfahren werden.« Cosimo Grandolos Warnung an seine Frau kreiste in seinem Kopf wie ein wild gewordenes Karussell. Er sagte, wenn ich Verbindungen sehen würde, wo es keine gab, könnte ich mehr Unheil anrichten als Gutes tun. Schließlich sah er auf und fragte: »Sagt Ihnen der Name Antenor etwas?«
    »Antenor?« Eleanor Sachs sah ihn an, als wäre er völlig übergeschnappt. »Was hat Antenor mit dem hier zu tun? Außerdem heißt es Antenora.«
    »Sie wissen also, wer er war?«
    »Ich weiß, was sie sind. Es sind zwei verschiedene Dinge, eine Sagengestalt und ein Ort. Antenor war die Gestalt, nach der Antenora benannt wurde. Der Mann, der Troja verraten hatte.«
    »Troja verraten hatte?« Pallioti griff nach seiner Tasse, hob sie an und setzte sie wieder ab. »Ich dachte, er sei einer der Ältesten gewesen.«
    Eleanor schmunzelte. »Das war er auch. Genau darum dreht sich ja die ganze Geschichte. Er war wütend, weil die Trojaner seinen Rat nicht befolgen wollten und Helena nicht zurückgaben. Darum verriet er die Stadt an die Griechen. Und gründete nebenbei Padua.« Sie nahm einen Schluck Kaffee und schüttelte den Kopf. »Auch wenn es nicht direkt etwas hiermit zu tun hat«, meinte sie, »Antenora liegt laut Dante im neunten Kreis der Hölle. Canto zweiunddreißig. Der ist für die Verräter reserviert.«
    »Verräter?«
    Eleanor Sachs nickte. »Ganz recht. Ein besonders grässlicher Flecken – wobei das Inferno insgesamt kein Zuckerschlecken ist. Aber in Antenora ist es eisig, weil Dante den Verrat als kälteste aller menschlichen Sünden betrachtete. Er lässt das Herz gefrieren. Und die Seele. Verräter sind moralisch Ausgestoßene. Sie mögen weiterleben, aber sie sind von aller Menschlichkeit abgeschnitten. Für alle Zeit.« Sie nahm noch einen Schluck und setzte zu einem Vortrag an, bei dem sie glücklich aus dem reichen Schatz einer Vorlesung über Dante schöpfte.
    Doch Pallioti hörte nicht mehr zu. Stattdessen sah er das Foto vor sich, das Maria Valacci ihm gegeben hatte, er sah das dünne, erschöpfte Gesicht ihres Bruders. Des Helden, der ihr seinen Orden überlassen hatte. Der ihr erklärt hatte, sie hätte ihn »eher verdient als er«. Dessen Hand so verlegen auf ihrer Schulter geruht hatte und in dessen Gesicht so tiefe Trauer gestanden hatte, weil er schon lange nicht mehr, seit Jahrzehnten nicht mehr zu jenem Teil der Menschheit zählte, der auf Erlösung hoffen durfte. Oder in seinen Augen womöglich überhaupt nicht mehr zur Menschheit. Kein Wunder, dass er ins innere Exil gegangen war, dass er sich oben in seinem Palazzo eingeschlossen hatte, dass er sich dazu verurteilt hatte, immer nur auf die Stadt hinunterzublicken, zu der er nicht mehr gehören durfte. Wie kalt, fragte sich Pallioti, war es in der eleganten Wohnung wohl gewesen? In den menschenleeren Gemächern, in denen er seine Tage allein zubrachte, umgeben von Zeichnungen, die den intimsten aller menschlichen Akte zeigten?
    »Alles in Ordnung?« Eleanor Sachs legte die Hand auf seine.
    Pallioti griff nach seiner Tasse und nickte.
    Sie sah ihn an. »Wer war Antenor?«, fragte sie. »Ich meine, in dieser Geschichte?«
    »Ich weiß es nicht.« Er nahm einen Schluck. »Wahrscheinlich niemand.«
    »Es war Massimo, nicht wahr?«
    »Nein.«
    »Er war ein Verräter, habe ich recht?« Ihr Blick tastete sein Gesicht ab. »Das glauben Sie doch, nicht wahr? Es hat etwas damit zu tun, dass er in der Villa Triste war, oder? Das meinte Achilleo Venta, als er von der Hölle sprach. Was hat Massimo getan?«
    Pallioti schüttelte den Kopf. »Ich weiß es nicht«, sagte er. Aber er hatte das grässliche Gefühl, es durchaus zu

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