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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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sie mit beiden Händen.
    »Ich habe ihn geliebt, müssen Sie wissen«, sagte sie. »Obwohl ich ihn kaum gekannt habe. Er war mein Bruder. Und ein Held.«
    »Ich weiß.«
    »Werden Sie denjenigen finden, der das getan hat?«
    Ihre Finger waren überraschend kräftig. Pallioti spürte die Knochen, über die sich das papiertrockene Fleisch spannte.
    »Ja«, sagte er. »Bestimmt.«

    Antonio Valacci, der darauf hinwies, dass er sowieso schon einen halben Arbeitstag versäumt hatte und nicht dringend ins Büro zurückmusste, begleitete Pallioti auf die Straße.
    »Ich weiß, was er gemacht hat.« Antonio sah Pallioti an, als beide aus dem Haus traten und gegen das grelle Herbstlicht anblinzelten. »Womit er sein Geld verdient hat, meine ich«, wurde er deutlicher. »Giovanni. Ich weiß, womit er gehandelt hat – wie Sie das auch nennen wollen. Jedenfalls nicht mit Briefmarken. Sondern eher mit Drucken. Speziellen Drucken. Von Knaben, nicht wahr?«
    Pallioti nickte. »Allem Anschein nach. Aus dem achtzehnten Jahrhundert, würde ich vermuten. Sehr detailliert. Wusste Ihre Mutter davon?«
    »Guter Gott, nein!« Antonio lachte. »Nein, nein. Ich könnte mir vorstellen, dass es mein Vater gewusst hat«, ergänzte er. »Das würde erklären, warum er Gio so kühl behandelte. Nicht dass der gute Onkel selbst besonders warmherzig gewesen wäre. Ganz im Gegenteil, er war ein richtig kalter Fisch. Ich habe nur zufällig davon erfahren.« Er sah Pallioti wieder an. »Wirklich erstaunlich, was so ein Ministerium alles zutage fördert. Natürlich habe ich es für mich behalten.«
    Kurz gingen sie schweigend nebeneinanderher.
    »Eine eigenartige Bemerkung«, sagte Pallioti schließlich.
    Antonio sah ihn an. »Welche?«
    »Die wegen des Ordens. Dass Ihr Onkel zu Ihrer Mutter gesagt hat, sie hätte ihn eher verdient. Was hat er damit wohl gemeint?«
    »Dass sie die wahre Heldin war?« Antonio schüttelte den Kopf. »Dass es einfacher war, sich von Nazis beschießen zu lassen, als es mit meiner Großmutter auszuhalten? Wer weiß? Dass er das verflixte Ding nicht bekommen hätte, wenn sie ihn nicht vorgeschlagen hätte?« Er zuckte mit den Achseln. »Trotzdem war es nett von ihm, ihr den Orden zu schenken. Unerwartet freundlich. Das bedeutet ihr sehr viel. Vor allem, nachdem er sich so unmöglich aufgeführt hatte. Wenigstens anfangs. Obwohl daran wohl ich schuld bin.«
    Pallioti blieb stehen. »Wie meinen Sie das?«
    Antonio Valacci hielt auf der sonnigen Straße an und breitete die Arme aus.
    »Na ja, schließlich habe ich meiner Mutter von den Feierlichkeiten zum sechzigsten Jahrestag erzählt. Dass man vorhätte, ein paar Partisanen auszuzeichnen. Die letzten Überlebenden.« Er überlegte kurz und sagte dann: »Sie müssen verstehen, Ispettore, meine Mutter hat nicht viel in ihrem Leben. Meine Großmutter, bitte verzeihen Sie mir die offenen Worte, war eine fanatische Faschistin. Sie wissen schon, eine von jenen Frauen, die glaubten, dass Mussolini Italien ›Ehre‹ gebracht hatte, weil er es schaffte, dass die Züge pünktlich fuhren, und weil er einen Hang zu schicken Uniformen hatte. Von dem, was ich so gehört habe, bezweifle ich, dass die Eltern meines Vaters viel besser waren. Sie haben ihn wahrscheinlich gehütet wie einen Augapfel. Und natürlich haben sie das von Mama nie erfahren, sonst wären sie bestimmt nicht so nett zu ihr gewesen.«
    »Was erfahren?«
    »Dass sie Jüdin ist.«
    Pallioti versuchte zu verdauen, was das im besetzten Italien des Jahres 1944 bedeutet hatte.
    »Also, wenigstens zur Hälfte«, führte Antonio aus. »Genetisch. Trotzdem war sie streng genommen Jüdin gemäß der jüdischen Glaubensregeln – schließlich war ihre Mutter Jüdin. So funktioniert das doch, oder? Ganz sicher bin ich mir da nicht. Den Nazis wäre es egal gewesen, nehme ich an. Mutter, Vater, Großeltern, Urgroßeltern. Ich glaube, in Buchenwald haben sie jeden genommen.«
    »Ihre Großmutter war Jüdin?«
    »Ironisch, nicht wahr?«
    Pallioti nickte. Er versuchte, ein Bild in seinen Kopf zu bekommen. Er hatte schon einmal gehört, dass auch einige jüdische Familien zu den glühendsten Faschisten gezählt hatten. Und so, wie er es sah, warum auch nicht, wenn sie sich vor allem und zuallererst als Italiener betrachtet hatten? Viele andere waren begeisterte Faschisten gewesen. Wenigstens bis 1938.
    »Ihre Familie war zum Katholizismus konvertiert«, erzählte Antonio Valacci. »Lang davor. Sie hatten ihren Namen abgekürzt und so

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