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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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weiter. Und natürlich hatte meine Großmutter meinen Großvater geheiratet. Beide waren brave Parteimitglieder. Aber ja, meine Großmutter war Jüdin. Und darum war, ist, meine Mutter Halbjüdin. Ich glaube nicht, dass es anfangs viel zu bedeuten hatte. Aber nach der Besetzung und eindeutig nach 1944, selbst in Pisa – also, Sie können bestimmt verstehen, warum Giovanni sie um jeden Preis in die Schweiz bringen wollte.«
    Ja, dachte Pallioti. Das konnte er.
    Antonio lächelte, aber der Ausdruck, der kurz über sein Gesicht zuckte, ähnelte eher einer Grimasse.
    »Ehrlich gesagt bezweifle ich, dass mein Vater sie geheiratet hätte, wenn er es gewusst hätte«, sagte er. »Aber in der Schweiz war meine Mutter einfach eine Kriegswitwe unter vielen mit einer Tochter. Bis heute versucht meine Mutter, ihre Abstammung zu verleugnen.« Er breitete die Hände aus. »Ich nehme an, sie kann nicht anders. Ihre ganze Kindheit hindurch musste sie das verleugnen – anfangs, weil sie kaum einen Gedanken daran verschwendeten, nehme ich an. Dann, weil ihr Leben davon abhing, dass sie nicht das war, was sie war. Natürlich wäre meine Großmutter eher gestorben, als dass sie es zugegeben hätte.« Er lachte bellend auf. »Entschuldigen Sie«, sagte er. »Das war nicht lustig gemeint. Aber es erklärt eine Menge, wie Sie sehen.«
    Pallioti nickte. »Wo lebten sie damals?«, fragte er. »In Pisa?«
    »Ja. Meine beiden Großelternfamilien stammten von dort. Eigentlich war das kein Thema, nicht einmal nach 1938, als die Restriktionen kamen. Niemand interessierte sich sonderlich dafür, und wie gesagt, meine Großeltern waren damals längst Katholiken und gute Parteimitglieder. Aber ihre Familien waren allgemein bekannt. Nach 1943 reichte das Gedächtnis der Menschen immer weiter zurück.«
    »Und Ihr Großvater war damals schon tot.«
    »Genau.« Antonio nickte. »Vermutlich machte das meine Großmutter angreifbar. Sie war keine besonders nette Frau. Wahrscheinlich hatte sie Feinde. Bestimmt hatte Giovanni sich die Sache angesehen und erkannt, dass sie auf einer Zeitbombe saß.«
    »Kein Wunder, dass Ihre Mutter ihn vergöttert hat.«
    »O ja«, bestätigte Antonio. »Er machte das Unmögliche möglich. Er schaffte sie aus Italien heraus. Ich habe das oft genug zu hören bekommen. Jedes Mal, wenn mein Vater nicht in der Nähe war, fing meine Mutter davon an, und nie fand sie ein Ende. Wie schneidig ihr Bruder ausgesehen hatte. Wie tapfer er gewesen war. Wie er diese Frau ins sichere Ausland gezerrt hatte. Was für ein Held er gewesen war. Als Kind hielt ich meinen Onkel Gio für eine Kreuzung aus Superman und dem Papst. Unsere erste Begegnung war eine herbe Enttäuschung für mich, das können Sie mir glauben. Trotzdem«, Antonio hob die Arme, »habe ich ihr das von dem sechzigsten Jahrestag erzählt, sobald ich es erfahren hatte – dass die Regierung eine neue Auszeichnung einführen wollte und so viele Partisanen wie möglich aufzustöbern versuchte, um ihnen einen Orden anzuheften. Ja, der Weg zur Hölle ist mit guten Absichten gepflastert.«
    Pallioti sah ihn an. »Das verstehe ich nicht.«
    »Nein.« Antonio Valacci verdrehte die Augen. »Also, ich hätte auch nicht damit gerechnet«, sagte er. »Verstehen Sie, als ich meiner Mutter davon erzählte, war sie ganz aus dem Häuschen. Ich sollte für sie herausfinden, wo sie Giovannis Namen angeben konnte, und dann dafür sorgen, dass er auf die Liste für die Ordensverleihung gesetzt wurde. Also machte ich mich an die Arbeit. Ich rief ein paar Leute an. Erzählte die Geschichte über diese Frau, die er gerettet hatte, wie tapfer er damals kämpfte und bla, bla, bla. Meine Mutter schrieb einen Brief und schlug ihn offiziell vor. Ich kam gar nicht auf den Gedanken, dass er nicht stolz darauf sein könnte – Sie wissen selbst, wie alte Männer sind. Die glorreichen Zeiten und so weiter. Jedenfalls hätte ich nie damit gerechnet, dass er sich so aufregen könnte. Aber andererseits kannte ich ihn kaum.«
    »Er regte sich auf?«
    Antonio lachte.
    »Milde ausgedrückt. Als Onkel Gio davon erfuhr – als ihm das Ministerium die frohe Botschaft zukommen ließ, dass er von seiner liebenden Schwester für einen Orden vorgeschlagen worden war. Na ja. Sagen wir einfach, es war keine schöne Szene. Offen gesagt drehte er völlig durch. Er rief an und beschimpfte sie. Ich war damals zufällig zu Hause. Ich konnte ihn aus dem Hörer hören, obwohl ich am anderen Ende des Zimmers stand. Er brüllte

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