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Die Toten der Villa Triste

Die Toten der Villa Triste

Titel: Die Toten der Villa Triste Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucretia Grindle
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sie an. Beschuldigte sie, sie hätte sein Leben ruiniert.«
    »Sein Leben ruiniert?«
    Antonio Valacci nickte.
    »Genau so hat er es ausgedrückt. Er wurde richtig hysterisch, glauben Sie mir. ›Erst Mama und jetzt du – alle beide habt ihr mein Leben ruiniert!‹ Das waren seine Worte. Sie hätten das Gesicht meiner Mutter sehen sollen. Ich dachte, sie würde jeden Moment tot umfallen. Ehrlich. Sie wurde ganz grau. Ich nahm ihr den Hörer aus der Hand und legte einfach auf.« Antonio schüttelte den Kopf. »Es war wirklich nicht lustig«, sagte er. Er sah Pallioti mit einem gequälten Lächeln an. »Darum, verstehen Sie«, fuhr er fort, »war es das Mindeste, dass der gute Onkel Gio ihr den Orden schenkte. Bis zum heutigen Tag glaubt sie, er hätte sich einfach eines Besseren besonnen.«
    »Aber Sie glauben das nicht?«
    Antonio blickte an ihm vorbei. Er sah zu den Häusern hinter ihnen auf, als rechne er damit, seine Mutter am Fenster stehen zu sehen.
    »Eigentlich nicht. Ich rief ihn am nächsten Tag an. Von meinem Büro aus.« Er lächelte betreten. »Sie werden das vielleicht nicht glauben, Ispettore«, sagte er, »aber ich liebe meine Mutter, sehr sogar. Darum erklärte ich dem guten Onkel Gio genau, was ich von ihm hielt.«
    »Und?«
    Antonio seufzte.
    »Sagen wir einfach, dass er nach dem Gespräch … Hören Sie«, schob er ein, »darauf bin ich nicht besonders stolz – eigentlich ist es nicht meine Art, alte Männer zu bedrohen –, aber, na schön, ich habe dabei möglicherweise angedeutet, dass einige seiner Geschäfte, seiner Verkäufe und seiner Kunden genauer unter die Lupe genommen werden könnten, als es in der Vergangenheit der Fall gewesen war, wenn er nicht, kurz gesagt, die Arschbacken zusammenkneifen und sich am Riemen reißen würde.«
    Pallioti musste einfach lächeln. Allmählich wurde ihm Antonio Valacci sympathisch.
    »Die Arschbacken zusammenkneifen und sich am Riemen reißen würde …«
    »Was soll ich sagen, ich war einfach mit meiner Geduld am Ende. Jedenfalls«, ergänzte Antonio, »rief Onkel Gio am folgenden Nachmittag bei meiner Mutter an und entschuldigte sich. Als ich abends nach Hause kam, erzählte sie mir, sie sei zur Messe gegangen, hätte zum ersten Mal seit zehn Jahren die Beichte abgelegt und sich die Lippen wund gebetet für ihren lieben, teuren Bruder, und man höre und staune, prompt habe sich ein ›Wunder‹ ereignet. Kaum zu glauben.«
    »Kaum zu glauben.«
    »Und natürlich nahm er den Orden an.«
    »Und schenkte ihn ihr.«
    Antonio nickte. »Und schenkte ihn ihr.« Sie gingen weiter. »Aber«, meinte er dann, »ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass es das allein war – dass ich ihn bloßstellte beziehungsweise bedrohte … wie Sie es auch nennen wollen.«
    »Nein?«, fragte Pallioti.
    »Nein.« Antonio Valacci schüttelte den Kopf. Dann blieb er wieder stehen und sah Pallioti an. »Als ich ihn bei diesem Empfang sah, war es fast, als …«
    Er verstummte, den Blick in die Vergangenheit gerichtet. Pallioti wartete ab. Nach einer Weile schien Antonio Valacci sich wachzurütteln. »Ich weiß, das klingt seltsam«, sagte er, »aber bevor ich ihn bedrohte – nebenbei bemerkt, ich glaube nicht, dass ich dazu fähig gewesen wäre, seine Verkäufe überprüfen zu lassen, aber es klang einfach gut –, also, bevor ich das tat, war er wütend. Aber so, wie Menschen wütend sind, wenn sie Angst haben. Wie ein in die Ecke getriebenes Tier. Sie kratzen und beißen, weil sie in Panik sind. Aber bei dem Empfang im Quirinale – vielleicht hatte er einfach nur mehr Zeit gebraucht – trotzdem wirkte er völlig verändert.«
    »Inwiefern?«, fragte Pallioti leise. »Inwiefern wirkte Ihr Onkel verändert?«
    Antonio Valacci überlegte kurz. Dann sagte er: »Wir Menschen sind merkwürdige Wesen. Wie Sie bestimmt wissen. Und vielleicht täusche ich mich auch, trotzdem hatte ich das Gefühl, dass er aufgegeben hatte. Dass er nicht mehr wütend war. Sondern nur noch müde. Als hätte er kapituliert.« Antonio zuckte mit den Achseln. »Vielleicht hatte er eine Vorahnung, verstehen Sie, dass nun alles vorbei war. Jetzt höre ich mich wirklich wie ein Idiot an«, meinte er dann. »Als Nächstes erzähle ich Ihnen noch, dass er eine Aura hatte. Einen bläulichen Schimmer um seinen Kopf oder so etwas. Obwohl es wirklich ein bisschen gespenstisch ist. Wenn man bedenkt, was danach geschah.«
    Pallioti sagte nichts. Gespenstisch war nicht das Wort, das er benutzt hätte. Sie gingen wieder

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