Die Toten der Villa Triste
weiter.
»Mein Wagen steht an der Chiesa Nuova.«
Antonio Valacci nickte. »Dort muss ich auch vorbei.«
Sie kamen zum Ende der schmalen Straße. Antonio blieb stehen, wühlte in seiner Hosentasche und zog ein schmales goldenes Zigarettenetui heraus.
»Glauben Sie, dass er deshalb umgebracht wurde?«, fragte er. »Wegen dieser Drucke, dieser Erotika?«
»Ich weiß es nicht«, gestand Pallioti. »Im Moment erscheint alles möglich.«
»Sie haben also noch keine heiße Spur.«
Falls es eine Frage war, beantwortete Pallioti sie nicht. Stattdessen sah er zu, wie Antonio seine Zigarette prüfte, sie an die Lippen hob und dann sagte: »Der Name, den ich Ihnen aufgeschrieben habe. Auf der Visitenkarte. Das ist nicht der meiner Sekretärin.«
»Aha.«
»Ihren römischen Kollegen habe ich den Namen nicht genannt. Nur Ihnen. Sie ist Carlo Peroccis Frau. Wir haben eine Affäre. Sie wissen, wer sie ist?«
Ehe Pallioti antworten konnte, fuhr Antonio fort: »Er ist unser stellvertretender Kulturminister. Ein Esel. Das geht schon ewig. Das mit Anna und mir, meine ich. Na ja, dass er ein Esel ist, auch. Wenn er Bescheid wüsste, würde er sie umbringen. Wir würden gemeinsam bis ans Ende der Welt gehen, aber ich kann meine Mutter nicht verlassen. Noch nicht.« Er sah Pallioti an. »Also bleibt alles beim Alten.«
»Das tut mir leid.«
Antonio lächelte. »Mir auch. Und Anna. Es ist ein Schlamassel. Wir kennen uns seit Jahren. Die Nummer auf der Visitenkarte? Ist die von ihrem Handy. Wir waren praktisch den ganzen Tag zusammen. Jedenfalls den ganzen Vormittag. Wir haben eine Wohnung in Trastevere gemietet. Man hat uns dort gesehen. Es ist also nicht so, dass nur meine Geliebte für mich bürgen könnte.«
»Danke, dass Sie mir Bescheid gesagt haben.«
Antonio wedelte mit der Hand durch die dünne Rauchfahne.
»Mit der Polizei zu kooperieren ist das Mindeste, was ich tun kann. Ich meine, ich arbeite zwar nur im Kulturministerium, aber wir stehen mehr oder weniger auf derselben Seite. Außerdem«, meinte er dann, »werden Sie das bestimmt überprüfen wollen, schließlich habe ich ein Motiv.«
Pallioti zog eine Braue hoch.
Antonio Valacci ließ die Zigarette in den Rinnstein fallen, trat sie aus und schüttelte den Kopf.
»Ich bin nicht von gestern, Ispettore«, sagte er. »Ich bin sicher, dass Menschen schon für weniger als so eine Wohnung gemordet haben. Und ich bin genauso sicher, dass ich keiner von ihnen bin.«
Er streckte die Hand aus. Pallioti schüttelte sie.
»Angenehme Heimreise.« Antonio Valacci lächelte. »Die Chiesa Nuova liegt direkt vor Ihnen. Nur diese Gasse hinunter und dann links.«
Das Flugzeug stieg von der Startbahn auf, schwenkte über den alten Hafen von Ostia und drehte dann nach Norden ab. Unter ihnen glitzerte das silberne Laken des Meeres in der untergehenden Sonne. Dann färbte es sich rosa und danach orange, um zuletzt unter den Wolken zu versinken, sobald sie über der Küste Höhe gewannen.
Ein Drink, ein Wodka auf Eis, dazu ein Alupäckchen mit »Knabbereien«, wartete unberührt vor Pallioti auf dem Tablett. Er stocherte mit dem grünen Plastikstäbchen zwischen den Eiswürfeln herum, legte es dann beiseite und trank einen Schluck der kalten Flüssigkeit. Wodka war eine schlechte Angewohnheit, die er sich vor ein paar Jahren zugelegt hatte – er wusste nicht mehr genau, wann –, ein Schutzmittel bei allen Gelegenheiten, im Flugzeug oder im Ausland, wenn er keinen Grappa bekommen konnte. Es war ein armseliger Ersatz, aber er tröstete, weil er so vertraut war. Pallioti spürte, wie der Geschmack hinten auf der Zunge verpuffte, und sann über die Hypothese nach, dass in einer perfekten Welt die Alitalia keine vakuumverpackten, abgestandenen Mandeln, sondern reife Oliven dazu servieren müsste, während er gleichzeitig das kleine rote Buch in seiner Hand betrachtete.
Streng genommen hätte er dafür unterschreiben oder zumindest Enzo mitteilen müssen, dass er es an sich genommen hatte. Er durfte nicht vergessen, das zu erwähnen. Nicht, dass es irgendjemanden interessieren würde. Es war ein Souvenir, ein Beweismittel, das höchstens die Vergangenheit belegen konnte. Irgendwann würde es zusammen mit allem anderen, was Giovanni Trantemento gehört hatte, den Valacci ausgehändigt.
Er hatte es sofort wiedererkannt, sobald er die Plastikhülle in Händen gehalten hatte. Der Umschlag hatte die falsche Farbe, aber sonst war ihm das kleine Buch so vertraut wie das Gesicht eines
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