Die Toten der Villa Triste
sie lügen würde oder nicht.
»Keines, das neuer ist als das von der Ordensverleihung«, sagte Maria Valacci schließlich. »Damals haben wir ihn zum letzten Mal gesehen. Am Tag der Feier, als er seinen Orden bekam. Die Zeremonie und all das – es wurde sogar im Fernsehen übertragen. Dann wurden wir zum Diner eingeladen. In den Quirinalspalast.«
Als sie sich erhob, entfaltete sich ihr dürrer Körper wie eine lange Spindel. Ihr Sohn wollte schon aufstehen. Er streckte die Hand nach ihr aus, aber sie wedelte abwehrend.
»Ich bin noch nicht tot«, murrte sie.
Pallioti, der ebenfalls fast aufgestanden wäre und ihr die Hand gereicht hätte, sank in den klumpigen Brokat seines Sessels zurück.
»Er war fürchterlich wütend auf mich«, eröffnete ihm Maria Valacci. »Er rief hier an und brüllte mich an.«
In ihren kleinen schwarzen Samtpantoffeln schlurfte sie auf den Flügel zu, der vor einem der Fenster stand. Der Deckel war geschlossen und mit unzähligen Fotos vollgestellt.
»Weil Sie auch in den Quirinale kamen?«, fragte Pallioti. Er fand es ungehobelt von Trantemento, seine Verwandten zu verleugnen, selbst wenn sie sich entfremdet hatten.
»Nein, nein.« Maria hatte offenbar Schwierigkeiten, im schummrigen Halbdunkel etwas zu erkennen. Sie spähte in den Bilderwald. Schließlich fand sie das Foto, streckte die Hand vor und holte es heraus.
»Nein, nein«, wiederholte sie. »Weil ich ihn für den Orden vorgeschlagen hatte.«
»Weil Sie ihn vorgeschlagen hatten?«
»Ja. Ich hatte davon gehört, müssen Sie wissen.« Gemessen wie eine Tänzerin drehte sie sich zu den beiden Männern um. »Also, eigentlich war es Tonio«, korrigierte sie, »der davon gehört und es mir erzählt hatte – dass man zum sechzigsten Jahrestag einige Partisanen ehren wollte. Also schlug ich Giovanni vor. Ich reichte seinen Namen ein.«
Sie schritt langsam durch den Raum zurück und blieb vor Pallioti stehen, das Bild gegen den schwarzen Kaschmirpullover gedrückt, als hätte sie Angst, er könnte es ihr entreißen.
»Ich dachte, das wäre das Mindeste, was sie tun könnten«, sagte sie. »Um ihnen zu danken. All den Menschen, die damals starben, weil sie Steine warfen und mit albernen kleinen Pistolen auf die Panzer der Nazis schossen. Und Gio hatte es wirklich verdient. Wirklich. Er hatte so tapfer gekämpft. Er hatte einer Frau das Leben gerettet – er war auf die Straße gelaufen und hatte ihr geholfen, nachdem man auf sie geschossen hatte. Er wurde dafür verhaftet und verprügelt und konnte irgendwann entkommen. Trotzdem rettete er dieser Frau damit das Leben. Sie haben darüber geschrieben«, sagte sie. »In der Zeitung.« Sie schüttelte wieder den Kopf. »Meine Mutter hat ihn wirklich grässlich behandelt. Trotz alledem. Sie sprach kaum ein Wort mit ihm, wenn er uns besuchen kam, nicht einmal, nachdem er sie in die Schweiz gebracht hatte. Sie hat ihm nie gesagt, dass er ein Held war. Ich fand, jemand sollte das irgendwann tun.«
Einen Moment lang glaubte Pallioti, sie würde das Bild gar nicht hergeben. Dann reichte sie ihm den Rahmen.
Er drehte ihn um und sah einen großen alten Mann, der sich mit hagerem, gehetztem Gesicht ein Lächeln abzuringen versuchte. Er trug einen dunklen Anzug. Selbst auf dem Foto erkannte man, dass er teuer und gut geschnitten war. Wahrscheinlich ein Maßanzug. Ein Orden blinkte auf dem Aufschlag. Antonio stand auf seiner einen Seite, auf der anderen seine Schwester. Giovanni Battistes geäderte Hand ruhte auf der Schulter ihres hellen Samtkleids.
Maria Valacci drehte sich um und schlurfte zum Flügel zurück. Dann kam sie wieder, blieb vor Pallioti stehen und streckte ihm eine kleine schwarze Schatulle entgegen.
»Das ist sein Orden.«
Sie klappte die Schatulle auf. Darin lag auf einem Bett aus weißem Satin eine goldene Medaille.
»Er hat ihn mir geschenkt. Danach. Noch am selben Abend. Er sagte, ich hätte ihn eher verdient als er. Ich habe es Ihnen doch gesagt.« Sie sah Pallioti an und blinzelte. »So war mein Bruder eben. Bescheiden. Ein tapferer, bescheidener Mann.«
Maria Valacci schloss die Schatulle mit einem Klicken, legte sie auf den Tisch neben ihrem Sessel und nickte zu dem Foto hin.
»Sie passen doch darauf auf, oder?«, fragte sie. »Es ist das einzige Foto, auf dem wir alle zusammen sind.«
»Bestimmt. Ich werde äußerst vorsichtig damit umgehen, das verspreche ich.«
Pallioti stand auf und reichte ihr die Hand. Zu seiner Überraschung ergriff Maria Valacci
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