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Die toten Frauen von Juárez

Die toten Frauen von Juárez

Titel: Die toten Frauen von Juárez Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Hawken
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legte auf. Sevilla klappte das Telefon zu und steckte es in die Tasche. Lange Zeit blieb er still und reglos sitzen.
    »Chingalo!«
Er schlug mit der Faust auf das Lenkrad.
»Chingalo! Chingalo!«
    Der Augenblick ging vorüber. Sevilla schwieg abermals. Ohne nachzudenken, griff er unter den Sitz und suchte nach der in Papier eingewickelten Flasche, aber da war nichts. Beinahe hätte er wieder geflucht, doch dann befürchtete er, er müsse weinen. Zwei Männer kamen aus dem Eingangder
palenque
heraus, stiegen in einen rostigen alten Chevrolet und fuhren weg. Sie bemerkten ihn nicht.
    Sevilla barg das Gesicht in den Händen. »Estéban, du dummer Idiot«, hauchte er. Im selben Moment wusste er, dass er an Estébans Stelle nicht anders gehandelt hätte. Die Erinnerung daran, wie der Schläger auf Estébans Hand heruntersauste, war noch frisch.
    Er nahm das Telefon und wählte eine andere Nummer. Niemand nahm ab, die Mailbox sprang an. Sevilla holte tief Luft. »Hier Sevilla. Rufen Sie mich an, wenn Sie können. Wir sollten uns treffen. Ich weiß das mit Estéban, Sie müssen es mir nicht mehr erzählen. Trotzdem ist noch nicht alles verloren.«
    Danach hielt er das Telefon in der Hand und wollte es zwingen, zu läuten, doch es tat sich nichts. Er steckte es ein. Er ließ das Auto an und machte den Motor gleich wieder aus. Die
palenque
kauerte in Hitze und Staub und wartete auf ihn. Er dachte an Schatten, Ventilatoren, die kühle Luft spendeten, und eine Bar mit eiskaltem Bier und härteren Getränken. Es war noch nicht so spät, dass er den Tag durch Trinken verderben würde, aber auch nicht mehr so früh, dass er verheimlichen müsste, was er getan hatte.
    Das Telefon läutete nicht. Wenn es läutete, würde er nicht hineingehen und trinken. Wenn es nicht läutete, würde er sich ausnahmsweise einen genehmigen. Nicht so viel, dass er nicht mehr sicher nach Hause fahren konnte. Vielleicht würde er sich einen Kampf ansehen. Vielleicht sogar eine Wette plazieren und den Tag gemächlich in den Abend übergehen lassen. Dann könnte er sich zwei oder drei Drinks genehmigen.
    Sevilla war schon ausgestiegen und hatte den Parkplatz überquert, als er sich endgültig entschied. Das Telefon läutete nicht, und so steckte er es wieder ein. Der Eingang der
palenque
lag im Schatten und roch nach einer Mischung aus Alkohol, Hühnerblut und Stroh. Als er eintrat, blickte keiner in seine Richtung, und als er einen Whisky bestellte, machte ihm niemand einen Vorwurf.

DREIZEHN
    Es war gar nicht so übel, auf dem Rücksitz des Autos zu schlafen, wenn die Sonne tief am Horizont stand und die Fenster offen waren, sodass die Luft zirkulieren konnte. Das Telefon summte in Sevillas Tasche, dann läutete es. Er regte sich. Es schien, als würde seine Hand ein Eigenleben entwickeln und das Handy ergreifen.
    »Sevilla«, sagte er.
    »Ich habe dreimal angerufen«, sagte Enrique.
    »Ich war beschäftigt«, antwortete Sevilla.
    »Sie hören sich an, als hätten Sie geschlafen. Wo sind Sie?«
    »In einer Hahnenkampfarena. Ich habe dreimal gewonnen.«
    »Was machen Sie da?«
    Sevilla setzte sich mühsam auf. Er blieb mit dem Fuß an der Armstütze hängen und fühlte sich einen Moment gefangen. »Was geht Sie das an? Wo sind
Sie
gewesen?«
    »Estéban Salazar ist wieder in El Cereso«, sagte Enrique. »Ich habe versucht, mich mit ihm zu treffen.«
    »Warum? Er hat schon gestanden, der dumme Idiot.«
    »Geständnisse kann man widerrufen.«
    »Nur wenn er will, dass La Bestia ihn wie Kelly in seiner Zelle besuchen kommt. Bis die mit ihm fertig sind, dürfte er sich die Todesstrafe zurückwünschen.«
    »Sie sind betrunken«, sagte Enrique. »Verdammt.«
    »Ich habe nur die Augen ausgeruht. Getrunken habe ich gar nichts.«
    Jetzt, da der Arbeitstag zu Ende ging, füllte sich der Parkplatz zunehmend; immer mehr Lastwagen und Autos näherten sich der
palenque.
Sevillas Schläfen pochten, wenn er das Gebäude nur ansah. Er stand von der Rückbank auf und gab sich Mühe, das zerknitterte Anzugjackett glattzustreichen.
    »Warum wollen Sie sich mit mir treffen, wenn es keinen Sinn hat? Was haben Sie gemacht?«
    »Ich habe einen Namen«, antwortete Sevilla. »Carlos Ortíz. Kennen Sie ihn?«
    »Nein. Sollte ich?«
    »Er arrangiert Kämpfe. Kelly kannte ihn. Sie haben sich getroffen, bevor Kelly wieder zur Nadel gegriffen hat. Der alte Mann, der Kellys
gimnasio del boxeo
leitet, hat etwas gesagt, das mich nachdenklich gestimmt hat. Finden Sie mehr über ihn

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