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Die toten Frauen von Juárez

Die toten Frauen von Juárez

Titel: Die toten Frauen von Juárez Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Hawken
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Berichte, sobald er etwas Neues zu sagen hätte.
    Dieses Verhalten gestattete man ihm, da Sevilla aus der Zeit vor der schwarz gekleideten Armee der Bundespolizei, den Stacheldrahtsperren und Barrikaden aus Beton und Stahl stammte. Sein Juárez war eine Stadt der Marihuanadealer, der Kleindiebstähle und
turistas,
die über die Grenze nach Süden kamen, um ein Gramm von etwas zu kaufen, mit dem sie die Welt eine Weile auf Distanz halten konnten. Es gab keinen Platz mehr für Sevilla, und dennoch blieb er. Sollten die Jüngeren die bösen Männer mit AK-47 und Raketenwerfern jagen.
    Enrique besuchte ihn nicht und hinterließ auch keine Nachrichten. So sollte es sein.
    An diesem Morgen fand Sevilla die Sporthalle beim dritten Versuch. Er kannte diese Ecke der Stadt nicht und hatte nie geschäftlich hier zu tun gehabt, keine der Straßen war ihm vertraut. Er parkte zu weit entfernt und wusste es nicht, daher ging er drei Häuserblocks zu Fuß, bis er endlich die Halle sah. Die Tür stand trotz der zunehmenden Hitze offen; ein Ventilator drehte sich auf einem Gestell, um die Wärme hinauszublasen.
    Sevilla hatte selbst nie Handschuhe getragen und geboxt, aber sein Bruder ein paar Jahre lang, während der Schulzeit. Aussehen und Geruch von Urvanos Sporthalle waren Sevilla von früher noch bestens im Gedächtnis, als er seinen Bruder mit dem Fahrrad abgeholt hatte, damit sie rechtzeitig zum Abendessen zu Hause waren. Er hatte damals vor dem Ringgewartet, während kampflustige alte Männer mit ständig gebrochenen Nasen Humberto die Feinheiten einer bereits im Aussterben begriffenen Kunst beigebracht hatten.
    Urvano war alt, aber nicht so alt wie Sevilla. Als Sevilla den Mann sah, stellte er sich vor, wie Humberto auf dem hohen Stuhl sitzen und den Blick über sein Reich schweifen lassen würde. Der Mann sah Sevilla an und hob halb eine Hand zum Gruße. Da wusste Sevilla, dass Urvano ein ehrlicher Mensch sein musste, denn nur ehrliche Menschen begrüßten Polizisten so unbefangen.
    Er zeigte seinen Dienstausweis. »Sevilla«, sagte er.
    »Wenn Sie Drogen suchen, hier finden Sie keine«, gab Urvano als Antwort darauf zurück. »So etwas dulde ich hier nicht. Jeder mit Drogen muss gehen und erhält Hausverbot.«
    »Das ist gut«, sagte Sevilla. »Hier hat ein Mann trainiert, ich habe Unterlagen über seine Zahlungen gefunden. Er war Amerikaner. Kelly Courter. Erinnern Sie sich an ihn?«
    Der alte Mann nickte. Er lächelte in sich hinein, ein wenig schief, da die Nerven der linken Gesichtshälfte Schaden genommen hatten. Auch das linke Lid hing etwas herunter. »Natürlich erinnere ich mich an ihn. Er war mein einziger weißer Knabe.«
    »Ich kann mir nicht denken, dass sich allzu viele hierher verirren.«
    »Wieso das? Sehen Sie hier etwas, das nicht gut genug wäre?«, wollte Urvano wissen.
    »Nein, nein, nicht deswegen. Es ist nur so, Gringos wollen Rockmusik und Klimaanlagen und Laufbänder, Sie wissen schon. Das hier wäre zu schlicht für sie.«
    Urvano zuckte mit den Schultern, drehte sich aber ein wenig auf dem Stuhl um, damit er Sevilla besser sehen konnte. Er war kein Säufer, sein Blick war klar. Sevilla stellte sich vor, wie er Kelly mit Blicken abschätzte. »Genau darum gibt es keine guten weißen Boxer«, sagte er schließlich. »Ein guter Boxer ist niemals richtig glücklich.«
    »Mein Bruder war Boxer«, sagte Sevilla. »Er hat drei Jahre geboxt. War ganz vielversprechend.«
    »Was ist passiert?«
    »Unser Vater wollte, dass er studiert und Arzt oder Anwalt wird. Irgendwas, bei dem er nicht mit den Händen arbeiten müsste. Wissen Sie, unser Vater hat sein Leben lang mit den Händen gearbeitet. Er war Zimmermann. Das wollte er nicht für uns.«
    »Was ist aus Ihrem Bruder geworden?«
    »Kinderarzt. Und dann zog er in die Staaten, nach Arizona.«
    »Und Sie wurden Polizist.«
    Sevilla zuckte die Achseln. »Ich arbeite nicht mit den Händen.«
    Urvano lächelte, sodass man seine weißen Zähne sah, und kicherte trocken. Er streckte die Hand aus, Sevilla schüttelte sie. Der alte Mann zeigte zum Ring. »Die beiden sind die Besten, die ich habe, aber verraten Sie es ihnen nicht, sonst steigt es ihnen zu Kopf. Jorge hat kräftige Hände, muss aber noch lernen, sie oben zu behalten. Oscar ist noch besser. Schnell. Beide können Champions werden, wenn sie sich ausreichend darauf konzentrieren.«
    »Hat sich Kelly konzentriert?«, fragte Sevilla.
    »Ich dachte es. Er war etwas älter, aber nicht zu alt. Er sagte, er

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