Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition)
Funksprechgerät, Schreibmaschine und Karteischrank ausgestattet ist. Alles in einheitlichem Grau bis auf einen knallgelben Fleck. Eine riesige Tasse, in der noch der Rest des ersten Kaffees des Jahres steht, den Roberto gerade getrunken hatte, als er Manzinis Anruf über Funk bekam.
»Das ist ja die, die ich dir geschenkt habe«, sagt Alice und zeigt auf sie.
Auf der anderen Seite der Eingangshalle befindet sich ein identisches Büro mit derselben Einrichtung, das von Manzini. Es unterscheidet sich nur durch zwei Gegenstände auf dem Schreibtisch: eine alte Holzschachtel mit Dominosteinen und eine Flasche, auf deren Etikett von Hand geschrieben steht: FÜR NOTFÄLLE .
Daneben ein kleines, schweres Glas, in dem fingerhoch eine schwarze, dicke Flüssigkeit steht.
10
D as Licht dringt nur mit Mühe in den Wohnraum im ersten Stock über dem Kommissariat, obwohl beinahe die ganze Seitenwand von drei großen Fenstern durchbrochen wird, die auf die Piazza hinausgehen. Die einzigen Möbelstücke sind ein großer Tisch aus hellem Holz und zahlreiche Stühle mit Beinen aus Eisen, die noch aus der Schule von Case Rosse stammen; mangels Kindern wurde sie geschlossen.
Der Tisch ist für zwei gedeckt, wie immer. Auf der einen Seite ist eine Kaskade aus roten Haaren über einen schwierigen Bericht gebeugt, den sie verfassen muss. Alice liest noch einmal durch, was sie geschrieben hat, schüttelt den Kopf, knüllt das Blatt zusammen und wirft es auf den Boden, wo es bereits von den anderen beiden abgebrochenen Versuchen erwartet wird. Sie merkt, dass sie beobachtet wird. Sie starrt ihrerseits zu Roberto zurück, der beschämt den Blick abwendet.
»Gibt’s nichts zu essen?«
»Ich hab nicht viel Hunger, aber wenn du willst, mach ich dir was.«
Sie antwortet nicht gleich. Sie sieht zum Fenster hinaus, konzentriert sich auf einen weit entfernten Punkt. Selbstvergessen malträtiert sie eine Locke, die ihr auf die Wange fällt. »Ist schon lange her, dass du für mich gekocht hast«, sagt sie in einem Atemzug, als könnte eine Pause sie dazu bringen, es sich anders zu überlegen.
Roberto ist verwundert über diese Antwort. Ohne etwas zu sagen, verschwindet er hinter einer Faltschiebetür. Auch wenn sie nur spärlich ausgestattet ist, verfügt die Küche des Kommissariats über Utensilien, die manch einen professionellen Küchenchef vor Neid erblassen lassen würden. Sofort fühlt er sich sicher. Er öffnet und schließt Schubladen und Schranktüren. Im Geist kreiert er eine Mischung aus Aromen. »Filet al Balsamico mit Äpfeln«, verkündet er.
Sie hält zwei Finger zum Victory-Zeichen hoch, ohne den Kopf von ihrem Bericht zu heben.
Robertos Bewegungen werden flüssig. Das schlichte Ritual des Kochens erlaubt es ihm, sich auf anderes zu konzentrieren, den gefährlichen Gedanken zu entfliehen. Er widmet sich ganz dem Gericht, als würde dessen Gelingen über Leben und Tod entscheiden. Als Erstes lässt er Butter in einem großen Wok schmelzen, dann gibt er zwei Filets vom weißen Fleischrind Modenas hinein, die in der großen fernöstlichen Pfanne überaus zart bleiben werden. Aus einem dunklen Glasfläschchen tropft er eine wohlabgemessene Menge des dickflüssigen süßen Essigs darauf.
Die Harmonie der Aromen und die Küchengeräusche beherrschen die Wohnung, bis die Filets auf dem Tisch stehen, bedeckt mit einer dunklen Creme, flankiert von den in Zimt gewendeten herben Scheiben von Granny-Smith-Äpfeln.
»Hast du Wein da?«, fragt Alice, nachdem sie die ersten Bissen schweigend genossen hat. Dann schüttelt sie den Kopf. »Tut mir leid, ich hab vergessen, dass du keinen Alkohol trinkst.«
Roberto geht in die Küche und kehrt mit einer Flasche in der Hand zurück. »Merlot von den Hügeln Bolognas«, antwortet er angesichts ihrer verblüfften Miene. »Ich habe mich mehr verändert, als du denkst.«
Sie trinken sofort, ohne anzustoßen. Alice leert erst das Glas, bevor sie antwortet: »Stimmt. Du hast dich verändert. Es ist, als wärst du die Schwarz-Weiß-Kopie des Roberto, den ich in Rom gekannt habe.« Sie schenkt sich Wein nach. »Dir fehlt etwas. Du hast keinen Hunger mehr. Früher hättest du nicht geruht, bevor du nicht den Mörder dieser armen Seelen gefunden hättest. Und du hättest es geschafft. Ganz egal, wie viele Scherben du hättest aufsammeln müssen, hinterher.«
Sie bereut noch im selben Augenblick, was sie gesagt hat. Ihre Worte lassen für beide eine Vergangenheit aufleben, die sie eigentlich
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