Die Toten im Schnee: Kriminalroman (German Edition)
vergessen wollten. Und sie bringen die drei Toten ins Zimmer.
Roberto steht abrupt auf und fängt an, den Tisch abzuräumen. Sie landen beide an verschiedenen Orten, um doch nur die eigenen Qualen neu zu durchleben.
Das Klingeln des Telefons lässt sie hochschrecken. Roberto rennt die Treppe hinunter, dankbar für die Unterbrechung. Er wäre es nicht, wüsste er, wozu dieser Anruf führen wird.
11
S erra, was zum Teufel ist da los in Case Rosse? Fehlt bloß noch, dass der Papst mich anruft!«
Der mailändische Akzent, der so stark ist, dass er beinahe aufgesetzt wirkt, und dazu die Rauheit von bemerkenswerten Mengen Lucky Strike machen die Stimme von Questore Augusto Bernini unverwechselbar, selbst durch den Telefonhörer. Roberto hat sofort das runde Gesicht mit dem vom Nikotin gelblich verfärbten Schnurrbart vor Augen, das Gesicht des energischsten und charismatischsten Mannes, den er je getroffen hat, ungeachtet der Körpergröße von einem Meter siebzig, auf denen etwa ein Doppelzentner Gewicht ungünstig verteilt ist. Eine Art vermeintlicher Vater, und das nicht erst seit den Zeiten der Spezialeinheit. Er siezt ihn nur, wenn er etwas Offizielles von ihm will.
»Stell dir mal die Situation vor«, fährt er fort. »Ich genieße – wie man so sagt, dabei war ich mit meiner Frau zusammen – das erste Frühstück des Jahres, als das Telefon anfängt zu klingeln. Und seitdem hat es nicht mehr aufgehört! Der Questore von Modena, der von Bologna, der Chef der Kriminaltechnik und, dulcis in fundo, Hört-hört Sernagiotto. Da ist mir fast der Panettone wieder hochgekommen!«
»Sie kennen Sernagiotto?« Das ist das Einzige, was Roberto brummend herausbekommt. So kann er dem Gedanken ausweichen, der sich in sein Hirn gebohrt hat. Bernini wird mich bitten, unsere Abmachung einzuhalten.
»Jemand in meiner Position muss sich gut mit jenen stellen, die Beziehungen nach ganz oben haben, meinen Sie nicht? Aber kommen wir zu uns. Ich hoffe, Sie sind gut ins neue Jahr gekommen, denn die Ferien sind jetzt zu Ende. Ich übertrage Ihnen die Ermittlungen zu diesen drei Leichen, und ich muss ja wohl nicht erst klarmachen, dass ich außer einem ›Ja, Signore‹ keine andere Antwort akzeptieren werde, gefolgt von einem ›Dankeschön‹.«
Roberto kommt es vor, als sei der Fußboden des Kommissariats ins Schwanken geraten. »Der Vizequestore hat die Ermittlungen in die Hand genommen. Ich …«
»Um es offen zu sagen, ich hab noch selten jemanden gesehen, der dermaßen protegiert wird wie Hörthört, aber in Case Rosse zu bleiben ist ganz sicher nicht sein heißester Wunsch. Und mir soll das mehr als recht sein, dieser Idiot schafft es sonst noch, ein heilloses Durcheinander anzurichten. Aber er kann uns noch nützlich sein, und er hat ein paar aufgeweckte Techniker um sich herum. Sie machen ihn sich zunutze und lassen ihn im Fernsehen auftreten, dann sind er und seine Förderer zufrieden.«
Roberto schüttelt den Kopf. Es gibt keinen Ausweg. Er versucht es dennoch: »Es ist Jahre her, dass ich mich mit einem so schwierigen Fall beschäftigt habe.«
»Wenn es stimmt, dass da zu Neujahr eine ganze Familie ausgelöscht worden ist, dann wird das sein, als hätte man in ein Wespennest gestochen. Die Medien werden über uns herfallen. Da brauche ich jemanden, der wenig redet und umso mehr arbeitet und der öffentlichen Meinung, den Journalisten und vor allem mir nur eine einzige Sache liefert: die Lösung. Das kriegt Sernagiotto nicht hin: Wer zu viel ins Rampenlicht sieht, wird geblendet.«
Wieder sieht Roberto durch die Augen des Mädchens einen Mann. Und eine Frau, die denselben Schmuck wie sie trägt. Eine Familie, ohne Zweifel. Schon will er Bernini von den Bildern des Tanzes erzählen, da fängt er Alices besorgten und neugierigen Blick auf, die in der Tür steht. Er entscheidet sich dagegen.
Bernini wechselt zum Du. »Mach dir keine Sorgen über die vier Jahre deines, nennen wir’s mal so, Erholungsurlaubs, den du dir genommen hast: Ich bin mir sicher, wenn du in dich gehst, wirst auch du wollen, dass die Opfer in Frieden ruhen können.« Dann wechselt er wieder zum offiziellen Ton. »Sie berichten ausschließlich an mich. Halten Sie mich auf dem Laufenden, denken Sie dran. Gute Arbeit. Ach ja, und frohes neues Jahr.«
Klick.
Roberto lässt sich auf den Schreibtischstuhl fallen. Er erinnert sich an die Zeit der Spezialeinheit. Zehn Polizisten insgesamt, mit den verschiedensten Fähigkeiten. Darunter der
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