Die Toten von Crowcross
wurde. Seitdem hatte Planet Avionics kämpfen müssen, um nicht unterzugehen. Im Grunde war es ein kleines Wunder, dass es die Firma überhaupt noch gab. Mit Kündigungen und harten Kostensparprogrammen hatten sie den endgültigen Niedergang verhindert. Dennoch wurde jetzt Copeland Insight PLC gebraucht, um den Laden wieder liquide zu machen. Ohne eine gehörige Kapital spritze ließen sich die nötigen Umstrukturierungen und der gewünschte Neustart nicht finanzieren.
Der Geschäftsführer, der dritte seit dem großen Debakel, machte einen weiteren »Scherz« (diesmal über Politiker). Nigel aß sein letztes Stück Barsch, verkniff es sich, ihm durch die Vorwegnahme der uralten Pointe die Luft aus den Segeln zu nehmen, und begnügte sich mit dem Wissen darum, dass seine Berater den guten Mann mit ziemlicher Sicherheit auf die Abschussliste setzen würden, wenn es an die Neuordnung der Führungsspitze von Planet Avionics ging.
»Haben Sie Kinder?«, fragte er Blondie um zu sehen, ob sie sich durch Häuslich-Familiäres aus dem Konzept bringen ließ.
Das tat sie nicht. »Nein«, erklärte sie, »noch nicht, aber es kann schön sein, es zu versuchen.«
Damals, als er angefangen hatte, den Kapitalismus als sein eigenes Spiel zu begreifen, hatte man in Aufsichtsräten und Vorstandsetagen nur selten Frauen angetroffen. Dann war die Generation strenger, zorniger Feministinnen (in seinem Alter) angetreten, die bis in die obersten Ränge aufstiegen und sich nicht mal die Tür aufhalten lassen wollten. Heute waren es Frauen wie Blondie, nach außen hin weich und einfühlsam und innen stahlgewappnet: die Sex-sells-Fraktion – die neueste Division aus dem Regiment ehrgeiziger Frauen.
Ach, zum Henker, nur so aus Spaß schenkte Nigel ihr noch ein Aufflackern seines teuer erkauften, perfekt weißen Lächelns. »Ja«, sagte er, »das habe ich auch schon gehört.«
Mittlerweile stand fest, dass die Tote keinerlei Papiere bei sich hatte, und auch im näheren Umkreis gab es nichts, anhand dessen man sie hätte identifizieren können. Natürlich bestand die Möglichkeit, dass sie noch etwas fanden. In der halben Stunde, seit Robinson seine Arbeit erledigt hatte, waren mehrere Wagenladungen uniformierter Constables eingetroffen, die sich daranmachten, den Crowcross Wood Zentimeter für Zentimeter zu durchsuchen – bis auf den Bereich hinter dem inneren Kordon, wo die Spurensicherer am Werk waren. Gesucht wurde nicht nur etwas, das im Zusammenhang mit der zweiten Leiche stand, sondern natürlich auch nach der Waffe, mit der Martin Grove getötet worden war. Die Annahmen zur Tatzeit blieben in beiden Fällen ungewiss, bis Robinson die Körper obduziert haben würde. Allerdings deutete sich aufgrund der rektalen Temperaturmessungen an, dass Grove eher gestorben war. Also war die Tatwaffe womöglich hier draußen weggeworfen worden, was Jacobson jedoch bezweifelte. Die Morde sahen aus wie von einem Profi begangen, und Profis erleichterten der Polizei die Arbeit für gewöhnlich nicht dadurch, dass sie ihre Waffe am Tatort zurückließen. Trotzdem, die Suche war notwendig, sie musste durchgeführt werden. Alle Möglichkeiten waren zu prüfen, alles musste erkundet werden, sowenig aussichtsreich es auf den ersten Blick auch wirken mochte.
Jacobson folgte Kerr zwischen den Bäumen hindurch zurück auf die Straße, wo die Autos parkten, und telefonierte mit Emma Smith. Smith saß im Einsatzraum und durchforstete die Vermisstenmeldungen, die während der vergangenen vierundzwanzig Stunden hereingekommen waren, bisher ohne Erfolg. Keine der Angaben und Beschreibungen passte, was das Alter und die Fotos anging, die die Kollegen von der Spurensicherung ihr gleich gemailt hatten, auch nur entfernt auf die Tote im Wald.
»Gut, mein Mädchen«, sagte Jacobson, »machen Sie trotzdem weiter und gehen Sie notfalls ein paar Wochen zurück. Es wäre nicht das erste Mal, dass jemand vermisst und erst eine ganze Weile später tot aufgefunden wird.«
Kerr fuhr sie hinüber zum Haus von Grove. PC Helen Dawson kümmerte sich immer noch um Maureen Bright, die gerade ein paar Kleider und Toilettensachen einpacken durfte (unter Aufsicht Dawsons und eines Spurensicherers). Der Plan war, dass Dawson sie zu Jane Ebdon fuhr (schon der Brandy verbot es, dass Bright sich selbst ans Steuer setzte), wo sie den Rest des Tages und wohl auch die Nacht verbringen konnte und nicht allein sein würde. Es würde wenigstens noch einen Tag dauern, wenn nicht
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