Die Toten von Crowcross
mehrere, bis Spurensicherung und Polizei ihre Arbeit im Haus abgeschlossen hatten. Danach konnte sie zurückkehren, immer gesetzt den Fall, dass sie das wollte. Das Haus würde bis dahin rund um die Uhr von einem Beamten bewacht werden.
Die beiden Frauen kamen gerade aus der Tür, als Kerr seinen Wagen in die geteerte Einfahrt steuerte. Maureen Bright hatte eine Reisetasche bei sich.
Jacobson versuchte sie vorzubereiten. Er schlug vor, dass sie sich noch einmal für ein paar Minuten in den Pavillon setzten: Es gebe etwas Neues, Wichtiges, wozu er sie befragen müsse.
»Marty ist tot«, erwiderte sie, »und ich habe Ihnen alles gesagt, was ich weiß.«
»Es geht nicht um Martin, Maureen, oder wenigstens nicht direkt«, antwortete Jacobson, der sich alle Mühe gab, sanft und in keiner Weise bedrohlich zu klingen. »Und ich brauche Ihre Hilfe.«
Kerr hatte mit seinem Handy ein paar Großaufnahmen des unbekannten Opfers gemacht. Der Anblick war nicht unbedingt angenehm, aber für jemanden, der die Frau gekannt hatte, musste sie noch zu erkennen sein. Sobald es ging, würde Steve Horton, ihr ziviler Computerfachmann, die Bilder von der Toten mit einer Fotosoftware bearbeiten, mit der sich rekonstruieren ließ, wie sie ausgesehen haben musste, bevor ihr jemand mit einer Pistole (einer Walther PPK, wie sie zunächst einmal vermuteten) in den Kopf geschossen hatte. Im Moment waren die Fotos auf Kerrs Handy jedoch alles, womit sie arbeiten konnten.
Maureen ließ ihre Tasche fallen und bewegte sich keinen Zentimeter vom Fleck.
»Was immer es ist, ich will es schnell hinter mich bringen«, sagte sie.
Jacobson beschloss, ihr nicht zu widersprechen. Er wusste, dass er für sie nichts als ein elender Bulle war, das Letzte vom Letzten. Einer, dem man nicht trauen konnte, einer, der immer nur Unglück brachte. Er nickte Kerr zu: Zeigen Sie ihr die Tote.
Kerr zeigte ihr die Bilder auf dem winzigen Display, eines nach dem anderen . Sie zitterte am ganzen Körper und schien jeden Moment losschreien zu wollen. Aber es kam kein Ton. Sie wankte – fiel aber nicht, sondern hielt sich aufrecht.
»Ich kenne sie nicht«, sagte sie nach einer Weile und blickte langsam zwischen Jacobson und Kerr hin und her. »Ich kenne sie nicht und habe sie noch nie gesehen.«
Ihre Stimme war ruhig, ihr Blick unbewegt.
»Sind Sie sicher, Maureen?«, fragte Jacobson.
Sie überging die Frage, sagte nur: »War es das?«, beugte sich vor und hob die Tasche auf. »Kann ich jetzt gehen? Ich möchte zu Jane. Bitte.«
10
Martin Grove.doc
Andy habe ich erst ein paar Tage später kennengelernt. Er war unten in London gewesen, bei einer großen Abrüstungsdemo, und noch ein paar Tage geblieben. Wobei er, wenn ich mich recht erinnere, kaum etwas erzählte, weder von der Demo noch was er sonst gemacht hatte. Praktisch alle aus dem Cottage hatten an der Demo teilgenommen. Fast eine Million Leute waren nach Angaben der Veranstalter durch die Straßen der Hauptstadt gezogen, um gegen die Stationierung von Cruise Missiles und Pershing II in Europa zu protestieren, die BBC sprach von mehr als 250000, die Polizei von einem halben Dutzend Rentnern mit einem kleinen, lahmenden Hund. Ich war an dem Wochenende auch noch in London gewesen, aber weit von all dem entfernt. Den Samstag hatte ich in einer billigen irischen Kneipe in Kilburn damit zugebracht, Cider zu trinken und Streitereien wegen Ulster und der IRA zu vermeiden. Die Demo hatte mit einer Massenkundgebung im Hyde Park geendet. Auch Claire und Nigel hatten sprechen dürfen, sich aber geärgert, weil sie bereits zu einer Zeit an die Reihe kamen, als ein Großteil der Demonstranten noch Parolen singend durchs Westend marschierte. Hinterher waren alle schnell wieder im Cottage eingetrudelt, nicht zuletzt wegen der Party. Andy aber war verloren gegangen, und kurz wurde sogar gemunkelt, er habe sich für immer von der Sache verabschiedet. Die Sorge war jedoch unbegründet, Andy tauchte wieder auf.
Andy war ein harter Brocken, einer der ungeschliffenen Diamanten des Protestes. Genau wie ich war er plötzlich aus dem Nichts aufgetaucht, ein junger Gelegenheitsarbeiter, der durch die Gegend trampte und eines Abends von Claire in ihrem grünen MG mitgebracht wurde. Das tat sie gewohnheitsmäßig, wie ich bald begriff. Aber während die meisten Nutznießer ihrer Großzügigkeit sich am nächsten Tag wieder davonmachten (oder wenigstens doch nach noch einer weiteren Nacht), zog Andy es vor, zu bleiben, genau wie
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