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Die Toten von Crowcross

Die Toten von Crowcross

Titel: Die Toten von Crowcross Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iain Mc Dowall
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ich . Ich habe nie herausgefunden, woher er eigentlich stammte. »Ich komm von überall und nirgends, Kumpel«, sagte er immer, und sein Akzent verriet nichts Konkretes. Nördlich, guttural, vielleicht sogar schottisch, niemand wusste das sicher. Er war ein paar Jahre älter als ich ế Nicht viel, im Herbst war er dreiundzwanzig geworden, aber für mich mit meinen neunzehn reichte das, um ihn als einen Mann von Welt dastehen zu lassen. Als einen, der sich auskannte und erfahren war. Natürlich war Nigel sein Meister. Nigel stellte sich vor jeden, der nicht auf dem College gewesen war, der schulbildungsmäßig kaum etwas vorzuweisen hatte und auf den kein warmes Nest wartete, in dem er mit offenen Armen empfangen werden würde, sollte er den direkten Kampf gegen den RKS (den repressiven kapitalistischen Staat, lieber Leser, falls Sie es vergessen haben) eines Tages satthaben.
    Andy schlief unten im Keller bei den großen Korbflaschen und seiner Weinproduktionsanlage. Ich denke, es war Nigel, der meinte, da unten sei auch für michPlatz, was ja, um ehrlich zu sein, auch so war. Zwei Dinge machten Andy in Nigels Augen zu etwas Besonderem. Zum einen die Tatsache, dass er echt und ernsthaft vorbestraft war, hauptsächlich wegen Einbruchs und Autodiebstahls, und mehrfach in einer Besserungsanstalt (so hieß das damals) gesessen hatte.
    Nach seinem letzten Aufenthalt in so einer Anstalt (und das war Punkt Nummer zwo) war er zur Army gegangen, wie viele »harte Jungs« damals, und auf den Falklandinseln eingesetzt worden, was dazu geführt hatte, dass er sich gegen Krieg und Regierung wandte. Die Falklands hatten ihn »politisiert« (wie Nigel sagte), und er war, sobald es ihm nur möglich gewesen war, wieder aus der Army ausgeschieden. Für Nigel waren Leute wie Andy »Gesetzlose«, natürliche Rebellen: Sie brauchten nur noch ein bisschen Unterweisung in proletarischer Geschichte (angereichert mit etwas Trotzki), um zu vollwertigen Revolutionären zu werden.
    Für eine Weile war ich da unten im Keller ganz zufrieden. Ich fragte Andy nicht zu genau nach seiner Vergangenheit, und er fragte mich nicht, wie ich gelebt hatte, bevor ich ins Myrtle Cottage gekommen war. Ich fand eine alte Matratze, säuberte und lüftete sie und legte mich mit meinem Schlafsack darauf.
    Der Keller war relativ groß, und mit Andys »Weinlabor« zwischen uns hatten wir jeder auf seiner Seite des Raumes einen Flecken für uns. Andy hatte ein paar zusätzliche Glühbirnen aufgehängt, und durch die Kellerfenster fiel etwas Tageslicht herein. Hätte ich allerdings gewusst, was auf mich zukam, nämlich Jahrzehnte in einem Gefängnis, ich hätte niemals da unten geschlafen, sondern auf dem Freiheitsfeld kampiert, unter freiem Himmel und den Sternen. Aber man weiß eben nie, was kommt, und wie gesagt, mein Freund, hätte ich gewusst, was auf mich zukam, dann hätte ich nie auch nur einen Fuß über die Schwelle von Myrtle Cottage gesetzt und wäre gar nicht erst auf Claires einladenden Beifahrersitz geklettert. Von Fremden nichts Süßes annehmen: Wie sich herausstellte, hat meine Mum da tatsächlich recht gehabt.
    Andy führte mich in die wichtigen Dinge ein oder, sagen wir: in seine Version der wichtigen Dinge. Er fuhr mit mir nach Crowby hinein, als ich den Antrag auf Sozialhilfe stellen wollte, und erklärte mir, was ich denen am besten erzählte. Etliche der Protestierer im Cottage bezogen Sozialhilfe, wobei nicht alle so darauf angewiesen waren wie Andy und ich, für einige war es eher eine Frage des Prinzips. Besonders für die Anarchos. Denen gefiel die Vorstellung, sich vom Staat dafür bezahlen zu lassen, dass sie gegen ihn kämpften, ungeheuer. Das war etwas, das sie einen Widerspruch nannten, und Widersprüche offenlegen, das wollten so gut wie alle im Cottage, wie ich nach und nach begriff. Andys derzeitige Dame der Wahl, Hilary, kam mit uns in die Stadt. Sie war groß, hatte volle Brüste und breite Hüften, was sich selbst durch ihre formlosen Strickjacken und weiten Hosen nicht ganz verbergen ließ. Sie studierte an der Fachhochschule Soziologie, verbrachte aber den Großteil ihrer Zeit im Cottage (auch das erfuhr ich erst später: Viele der Leute im Cottage ließen nicht gleich durchblicken, was sie eigentlich machten, dazu musste man sie erst näher kennenlernen). Als wir beim Sozialamt fertig waren, tranken wir in der »Market Tavern« ein paar Bier, und Hilary erzählte ihre Geschichte von den Konzentrationslagern, die sie in London

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