Die Toten von Crowcross
verbringen ihr Weihnachten jetzt im Knast , dank euch , Claire , sagte einer der Leute von der Crowbyer Anti-Atom-Bewegung.
Andy und Hilary ließen sich nicht beirren. Andy schlachtete seine genähte Kopfwunde bis ins Letzte aus und sagte, er würde es auf jeden Fall wieder genauso machen, und zwar so oft, wie es notwendig sei. Mein Freund Alan Slingsby, den Sie, lieber Leser, später noch kennenlernen werden, sagt, er sei an jenem Abend auch da gewesen, wenngleich ich mich daran nicht erinnern kann ề Er sagt, er habe als Abgesandter des Rechtskollektivs an der Besprechung teilgenommen und eine kleine Rede gehalten ế Vielleicht war ich da ja wieder mal mit meinen Gedanken woanders. Das ging mir oft so. Für mich, neunzehn Jahre alt und naiv wie ein kleiner Junge, war der Tag in erster Linie aufregend gewesen, außergewöhnlich und vor allem ein großer Spaß. Wenigstens zu Anfang. Die Prügel hätten nicht sein müssen und auch die Verurteilung wegen Landfriedensbruchs (die mich später noch verfolgen sollte) nicht. Vor allem das Über-Nacht-eingesperrt-Sein hatte mir ganz und gar nicht gefallen. Wir saßen zu viert – allesamt Demonstranten – in einer Zelle in der alten Polizeiwache Wynarth (die inzwischen längst geschlossen ist) . Obwohl ich nicht allein war, machte mich das Eingesperrtsein verrückt. Ich meine, wirklich verrückt. Ungeahnte Ängste stiegen in mir auf und machten es mir unmöglich, auch nur eine Minute zu schlafen. Das Haus konnte in Brand geraten, und wir saßen in der Falle da unten, oder (und der Gedanke wollte mich gar nicht mehr loslassen) die Polizei log uns an, hielt uns auf ewig in der Zelle gefangen und ließ uns womöglich verhungern. Das mag albern und idiotisch klingen, wenn man es so liest oder auf schreibt, aber mitten in der Nacht, eingesperrt in einer Zelle, die sich nur von außen öffnen lässt, erscheinen einem solche Vorstellungen absolut realistisch. Als uns der Anwalt des Rechtskollektivs morgens riet, uns schuldig zu bekennen, um am selben Tag noch freizukommen und keine weitere Nacht hinter Gittern verbringen zu müssen, stand für mich völlig außer Frage, was ich tun sollte. Ich hatte mir bis dahin nie große Gedanken darüber gemacht, was es heißt, eingesperrt zu sein, aber jetzt wusste ich – oder glaubte zu wissen –, dass ich eindeutig zu der Art Mensch gehörte, die mit einem Leben hinter Gittern nicht fertig wurde. Überschnappen würde ich da, komplett überschnappen.
Es ist gut möglich, dass ich Alans Redebeitrag verpasst habe, weil mir all das durch den Kopf ging und ich wieder mal viel zu sehr mit meinen eigenen Gedanken beschäftigt war. Aber jenseits der Aufregung, die es bedeutete, Haken zu schlagen, uniformierte Dreckskerle abzuhängen und dafür eingesperrt zu werden, war es eine ganz bestimmte Einbildung, die mir nicht aus dem Kopf wollte und mich ganz und gar vereinnahmte, nämlich dass Claire jetzt, wo Nigel nicht im Cottage war . ..
23
Jacobsons zweite Obduktion innerhalb von vierundzwanzig Stunden war nicht angenehmer als die erste. Diesmal übernahm Candice Black, streng überwacht von Robinson, den Großteil der Arbeit. Nur drei Ergebnisse waren für die Ermittlungen tatsächlich von Bedeutung (wobei Jacobson kurz spekulierte, ob Holts Freund und ihre Mutter wohl von der kürzlich erst vorgenommenen Abtreibung wussten). Zwei davon stellten sich wie erwartet dar: Karen Holt war durch den Schuss ums Leben gekommen, und die Zunge war ihr, genau wie Martin Grove, erst hinterher aus dem Mund geschnitten worden. Dass die Kugel den Kopf nicht wieder verlassen hatte, war für die Ballistikexperten vom FSS natürlich spurentechnisch von Vorteil. Die Kugel, die Grove getötet hatte, war aus dem Kopf wieder ausgetreten und von seinem Mörder mitgenommen worden.
Das dritte Ergebnis erwies sich allerdings als ziemliche Überraschung. Die Eröffnung von Karen Holts Magen hatte gezeigt, dass sie erst wenige Stunden vor ihrem Tod die letzte Mahlzeit eingenommen hatte. Unter den halbverdauten Speisen befanden sich Pasta, Chorizo und Gemüse, genau das, was in etwas weniger stark verdautem Zustand auch in Martin Groves Magen gefunden worden war. Damit lag die Annahme nahe, dass Grove und Holt vor ihrer Ermordung gemeinsam gegessen hatten, womöglich bei Grove, denn bisher gab es keinen Hinweis darauf, dass Grove sein Haus verlassen hatte, nachdem Maureen Bright um neun zu Jane Ebdon aufgebrochen war. Wie alle Pathologen hasste es auch Robinson, eine
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