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Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition)

Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition)

Titel: Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Wilson
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Werkzeuge des Guten sind verglichen mit denen des Bösen so erbärmlich und vorhersehbar«, sagte Falcón. »Wenn wir schon Menschen sind, die nach jahrelanger Arbeit in diesen korrupten Institutionen ein tiefes Verständnis für jegliche Art dieses Drecks entwickelt haben, sollten wir daraus vielleicht etwas lernen, es nutzbringend einsetzen. Dieses ganze Wissen sollte schließlich nicht ungenutzt verschwendet werden.«
    »Sie wandeln auf einem gefährlichen Pfad«, sagte Lobo.
    Als er ins Büro zurückkam, sahen ihn Ramírez und Ferrera erwartungsvoll an. Falcón blieb vor ihnen stehen, spreizte seine leeren Hände und ging in sein Büro. Auf dem Schreibtisch lag der kleine Zettel mit der Übersetzung der Inschrift, die er in der Finca entdeckt hatte. Er stützte sich mit beiden Händen ab und wappnete sich für die Lektüre:
    Es tut mir Leid, Mama, aber wir können das nicht mehr.
    Wortlos verließ er sein Büro, um Alicia Aguado abzuholen, froh über ihre Gesellschaft. Sie war guter Dinge und freute sich auf ihre nächste Sitzung mit Sebastián, der gewaltige Fortschritte machte. Pablos Tod hatte ihn von seiner Vergangenheit befreit, und binnen weniger Tage hatte er Dinge ausgesprochen, die zu enthüllen normalerweise Monate dauerte.
    Als sie in die Beobachtungszelle kamen, war Sebastián offensichtlich froh, Alicia zu sehen. Er setzte sich und legte ungeduldig sein Handgelenk frei. Aber Falcón konnte sich kaum auf die Sitzung konzentrieren. Das Gespräch mit Lobo ging ihm im Kopf herum, wo es zusammen mit seinen Gedanken an Ignacio Ortega und die Russen eine Art Dreifach-Helix bildete. Jeder Zugang zu den Russen war gekappt – Vega, Montes und Krugman waren tot, Vázquez vor Angst gelähmt. Damit blieb nur noch der dunkelste aller Wege, der über Ignacio Ortega, und das war der Punkt, wo sich die Stränge seiner Dreifach-Helix doch noch trafen – bei Lobos Abschiedsworten.
    Die Intensität des Gespräches in der Beobachtungszelle drang zu ihm durch, und für eine Weile konzentrierte er sich auf den Dialog.
    »Wie alt warst du?«, fragte Aguado.
    »Fünfzehn. Das war keine leichte Zeit für mich. In der Schule war es schwierig, so wie auch das Leben zu Hause. Ich war unglücklich.«
    »Und was genau ist passiert?«
    »Wir sind nach Huelva gefahren. Dort trat er in einem Theaterstück auf, und wir wollten dann weiter nach Tavira in Portugal, um ein Wochenende am Strand zu verbringen.«
    »Warum hast du diesen Moment gewählt?«
    »Ich habe ihn nicht gewählt. Ich war wütend auf ihn. Ich war wütend, weil er mir ständig erklärte, was für ein wunderbarer Mensch sein Bruder war. Wie rücksichtsvoll und hilfsbereit. Mein Vater war ein hoffnungsloser Fall, wenn es darum ging, den Überblick über seine Finanzen zu behalten, und Ignacio hat ihm ständig geholfen. Außerdem hat er Elektriker und Klempner vorbeigeschickt, wenn etwas zu reparieren war. Einmal hat er sogar kostenlos die komplette Elektrik erneuert. Das war für Ignacio ein Klacks. Es hat ihn nichts gekostet. Er hat das alles über seine Firma laufen lassen. Aber mein Vater dachte, er wäre ein großartiger Mensch, weil er all das für ihn tat. Er erkannte nicht, was Ignacio im Schilde führte. Er sah nicht, wie sehr sein älterer Bruder ihn hasste, ihm sein Talent und seinen Ruhm neidete. Als Pablo wieder einmal das vergoldete Bild seines Bruders polierte, habe ich es ihm gesagt.«
    »Kannst du dich noch an deine genauen Worte erinnern?«
    »Ich erinnere mich an alles, als wäre es gerade erst passiert«, antwortete Sebastián. »Ich sagte: ›Wenn du auf Tournee warst und mich bei deinem Bruder gelassen hast…‹ Und mein Vater wandte sich mir lächelnd zu, voller Vorfreude auf das, was er hören würde – noch etwas Wunderbares über Ignacio. Es war so erbärmlich, dass ich es beinahe nicht über mich gebracht hätte, es zu sagen, doch dann setzte sich meine Wut durch, und ich knallte es ihm direkt ins Gesicht. Ich sagte: ›…er hat mich jede Nacht missbraucht.‹« Er hat die Kontrolle über den Wagen verloren, sodass wir von der Straße abgekommen und in einem Graben gelandet sind. Er fing an, mich zu schlagen und zu ohrfeigen, bis ich das Fenster öffnete und hinauskletterte. Er stemmte seine Tür auf wie ein Mann, der aus einem Panzer steigt, und folgte mir.
    Das Problem mit meinem Vater war, dass man nie wusste, ob er schauspielerte. Er konnte einen Wutausbruch hinlegen und im nächsten Moment überzeugend liebevoll sein. Aber an diesem

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