Die Toten von Santa Clara: Roman (German Edition)
Fußboden liegt ein Mann«, erwiderte der Streifenpolizist jetzt ärgerlich. »Er bewegt sich nicht und reagiert nicht auf Geräusche. Ich habe…«
»Meinen Sie nicht, dass Sie versuchen sollten, ins Haus zu kommen, um zu sehen, ob er noch lebt? Er reagiert nicht, aber vielleicht atmet er ja noch.«
Auf der Miene des Streifenpolizisten spiegelte sich Unentschlossenheit, doch der eintreffende Krankenwagen rettete ihn. Gemeinsam mit den Notärzten stellte er fest, dass das Haus auf Vorder- und Rückseite komplett verriegelt war. Weitere Wagen hielten vor dem Haus.
Inspector Jefe Javier Falcón hatte das Frühstück beendet und saß im Arbeitszimmer seines riesigen Hauses aus dem 18. Jahrhundert in der Altstadt von Sevilla. Er trank den Rest seines Kaffees und studierte die Bedienungsanleitung einer Digitalkamera, die er vor einer Woche gekauft hatte. Wegen der dicken Mauern und der traditionellen Bauweise des Hauses musste er die Klimaanlage nur selten einschalten. In dem Marmorbrunnen plätscherte Wasser, ohne dass es ihn störte. Nach einem für ihn persönlich sehr turbulenten Jahr hatte er nun seine Konzentrationsfähigkeit wiedergefunden. Sein Handy auf dem Schreibtisch vibrierte. Seufzend griff er danach. Dies war die Tageszeit, zu der üblicherweise die Leichen gefunden wurden. Er ging hinaus in den Kreuzgang um den Innenhof und lehnte sich an eine der Säulen, die die Galerie trugen. Dort hörte er sich die Fakten an, nackt und bar jeder Tragödie. Zurück in seinem Arbeitszimmer notierte er die Adresse: Santa Clara. Es klang nicht wie ein Ort, an dem irgendetwas Schlimmes passieren konnte.
Er schob das Handy in die Hosentasche, nahm seine Wagenschlüssel und öffnete das gewaltige Holztor vor dem Haus. Dann ließ er seinen Seat zwischen die Orangenbäume rollen, die den Eingang flankierten, und ging zurück, um das Tor zu schließen.
Die Klimaanlage blies kalte Luft gegen seine Brust, als er über die engen Kopfsteinpflasterstraßen auf die von hohen Bäumen gesäumte Plaza del Museo de Bellas Artes fuhr. Er verließ die Altstadt Richtung Fluss und bog rechts in die Calle del Torneo. Im morgendlichen Dunst waren in der Ferne die verschwommenen Umrisse der »Harfe« zu sehen, der gewaltigen Puente del Alamillo, die der Architekt Calatrava über den Fluss gespannt hatte. Er entfernte sich vom Flussufer in Richtung Neustadt und kämpfte sich durch die Straßen um den Bahnhof Santa Justa, bevor er an endlosen Hochhäusern vorbei der Avenida de Kansas City folgte, während er an das exklusive Barrio, das Viereck, dachte, in das er fuhr.
Die Gartenstadt von Santa Clara war von den Amerikanern geplant worden, um den eigenen Offizieren Unterkünfte zu bieten, nachdem nach Unterzeichnung des Verteidigungs- und Wirtschaftsabkommens 1953 in der Nähe von Sevilla das Strategic Air Command eingerichtet worden war. Einige der Bungalows sahen immer noch aus wie in den 50er Jahren, andere hatte man an die spanische Architektur angepasst, und wieder andere waren von ihren wohlhabenden Besitzern komplett abgerissen und durch Neubauten palastartiger Villen ersetzt worden. Soweit sich Falcón erinnerte, hatte keine dieser Veränderungen es geschafft, das Viertel von seiner allgegenwärtigen Unwirklichkeit zu befreien. Es hatte etwas damit zu tun, dass die Häuser einzeln auf eigenen Grundstücken standen, zusammen, aber isoliert, was völlig unspanisch war und eher an eine amerikanische Vorstadt erinnerte. Außerdem war es im Gegensatz zum Rest von Sevilla hier geradezu unheimlich still.
Falcón parkte im Schatten einiger Büsche und Bäume vor einem modernen Haus in der Calle Frey Francisco de Pareja, das trotz seiner Backsteinfassade und einiger Ornamente wie eine massive Festung wirkte. Beim Anblick des ersten Menschen, den er nach Betreten des Grundstücks sah, musste er sich zwingen, entschlossen weiterzugehen: Juez de Guardia Esteban Calderón, der zuständige Staatsanwalt. Er hatte seit mehr als einem Jahr nicht mehr mit Calderón zusammengearbeitet, doch die Erinnerung an ihren letzten Fall war noch frisch. Sie gaben sich die Hand und klopften sich auf die Schulter. Falcón war überrascht, neben dem Staatsanwalt Consuelo Jiménez stehen zu sehen, eine Frau, die ebenfalls eine wichtige Rolle bei diesem einen Fall gespielt hatte. Aber nur noch wenig erinnerte an die gutbürgerliche Ehefrau, die er vor einem Jahr bei den Ermittlungen im Zusammenhang mit der Ermordung ihres Mannes kennen gelernt hatte. Mittlerweile
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