Die Totenfalle
plötzlich so einsam und verloren vor.
Es war keine direkte Angst, die sie umklammert hielt, doch ihr Herz klopfte schon schneller, und sie zog einige Male den Kopf ein, als sie zu schnell ging und dabei nach vorn rutschte. Etwas drückte gegen ihren Magen, sie lauschte den eigenen Schritten, ging sehr langsam, weil sie nicht wollte, daß die Flammen erloschen, die ab und zu sehr klein wurden, dann wieder hochloderten und sich in ihre Richtung hinbeugten, so daß Wärme über ihr Gesicht streifte. Tabitha wartete. Sarah fragte sich, ob sie es gut gemacht hatte. Sie hätte eventuell doch warten sollen, nun gab es kein Zurück mehr. Es wäre lächerlich gewesen, hätte sie den Rückzieher jetzt versucht. Also weitergehen.
Und sie schritt dahin.
Langsam, schleichend und auch schleifend, den Kopf so erhoben, daß sie die Lichtgestalt auf dem Grab sah. Die Helligkeit umschmeichelte einen ebenfalls hellen Körper und natürlich ein strahlendes Gesicht, das so wunderschön aussah und selbst Lady Sarah beeindruckte. Sie hatte nicht zu Tabithas Patientinnen gehört. Sie hatte einfach nur wissen wollen, welche Kräfte in dieser Frau steckten, von der immer wieder gesprochen und über die so viel geschrieben wurde. Deshalb war sie zu ihr gegangen und hatte sich von ihrem Flair einfangen lassen. Zwei Stunden hatten beide Frauen damals miteinander gesprochen. Viel war für Lady Sarah dabei herausgekommen. Sie hatte von einer anderen Welt erfahren, wo es den Begriff Krankheiten nicht gab. Und wenn, dann auf die normalen Menschen projiziert, wobei diese dann aus dem Jenseits die heilenden Kräfte erwarteten.
Es war wunderbar…
Plötzlich fühlte sich Lady Sarah wieder besser. Die Erinnerung an das Gespräch zwischen den beiden hatte dafür gesorgt. Sie konnte es kaum erwarten, Tabitha gegenüberzustehen, und sie war auch froh, als sie den Beginn des flachen Hügels erreichte.
Tabitha stand oben.
Sie erwartete Lady Sarah mit ausgestreckten Armen, den Kopf hielt sie leicht gesenkt, und die Horror-Oma schaute in das Licht. Sie hatte etwas Mühe, die rutschige Strecke hochzuschreiten.
»Komm zu mir. Komm als erste. Es ist nicht mehr weit, das weißt du genau…« Tabithas Stimme spornte sie an.
»Ich… ich… bin auch gleich da…«
»Ja, das ist gut.«
Sarah ging weiter. Den Oberkörper hatte sie nach vorn gedrückt, das Lächeln auf ihrem Gesicht blieb. Sie atmete mit offenem Mund und schaute zu, wie sich der kondensierte Atem mit den weichen Nebelschwaden vermischten.
Auch sie sorgten dafür, daß die Konturen dieser Person ebenfalls an den Seiten zerflossen. Es war einfach alles so leicht, so wenig bedrückend. Lady Sarah hatte das Gefühl, mit jedem Schritt, den sie tat, ein Stück ihres eigenen Lebens hinter sich zu lassen, und sie merkte nicht mal, in welch einen Bann sie bereits geraten war.
Sie wollte zu Tabitha!
Noch ein Schritt trennte sie. Lady Sarah warf beide Kerzen weg, sie brauchte die Lichter nicht mehr, denn nun stand das große, das helle, das strahlende Licht zum Greifen nahe vor ihr.
»Da bist du ja…«
Die ersten Worte, die erste Berührung!
Sarah Goldwyn hatte das Gefühl, einen Schlag bekommen zu haben, als sich Tabithas Hände auf die ihren legten. Sie waren so weich, so zärtlich, wenn auch eisig kalt…
»Komm zu mir, meine Liebe. Du bist doch Sarah, nicht?«
»Ja.«
»Sarah, die zu mir kam, um mich zu prüfen. Hast du mich geprüft, meine Liebe?«
Die Horror-Oma richtete sich vor ihr auf. Sie stand auf dem Grab, ohne eigentlich zu merken, wo sie direkt war. »Ja, ich habe dich geprüft, Tabitha.«
»Und?«
»Du bist etwas Besonderes.«
In den Augen der Frau entstand ein gleißendes Funkeln. »Nein, du hast Unrecht. Ich bin nicht nur etwas Besonderes, ich bin göttlich, verstehst du? Göttergleich…«
»Ja…«
»Magst du das?« Sarah nickte.
»Willst du es auch werden?«
Mißtrauen schoß in Sarah hoch, fiel aber sofort wieder zusammen, als sich der Händedruck verstärkte. »Wie ist das möglich?«
»Du mußt mir nur folgen.«
Die Horror-Oma hatte eine Gänsehaut bekommen. »Ich will aber wissen, wer du wirklich bist. Wieso ist es möglich, daß du es allein durch die Kraft deiner Hände schaffst, die Menschen zu heilen? Das möchte ich gerne wissen.«
»Weil ich Freunde habe.«
»Ach…«
»Ja, in der jenseitigen Welt, aus der ich komme. Dort sitzen die Geister und schauen auf diese Welt. Sie haben mir die Ratschläge gegeben, wie ich die Menschen zu heilen habe, weil
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