Die Totenfrau des Herzogs
Selbst der Weihrauch stank jetzt nicht mehr so harzig. Vielleicht lag es auch daran, dass der Priester kurz den Raum verlassen hatte. Sie seufzte leise. Leider blieb er nicht lange weg, sein tapsiger Schritt war bereits wieder zu hören. Mit einem Ächzen bückte er sich zu seinem Räuchergefäß herunter und befüllte es mit neuem Weihrauch. Sein papierfarbenes Gesicht sprach im Übrigen von der gleichen Krankheit wie bei Sicaildis; am liebsten hätte Ima auch ihm ein paar Tropfen des hochwirksamen trifera saracenica in Wein verabreicht, um seine Leber zu erleichtern. Doch sicher hätte ihr das nur Verwünschungen eingebracht.
Sicaildis’ Haut oberhalb des Verbandes fühlte sich trocken an. Ima goss sich ein wenig Olivenöl in die Hände und massierte es mit langsamen Bewegungen in die Haut. »Ihr solltet mehr trinken, ma dame «, sagte sie. »Einen Tee von Brennnesseln sollte man für Euch täglich kochen …«
Sicaildis’ Hand legte sich auf ihren Arm.
»Seid Ihr gottesfürchtig, Mädchen?«, unterbrach die Herzogin sie heiser. »Oder glaubt Ihr an bärtige Baumgeister, wie es die Barbaren im Norden tun?«
»Sie …« Ima zögerte und entschloss sich dann zu schweigen.
Die Herzogin wartete die Antwort auch nicht ab. »Betet mit mir, Mädchen. An wen auch immer Ihr glaubt, Eure Hände sind stark, so etwas kann nicht gottlos sein. Faltet sie für mich - betet mit mir.« Ihre schwarzen Augen schimmerten, als hätte sich eine Träne hineinverirrt … »Der Herzog kam vorhin im Traum zu mir.« Die beiden Frauen sahen sich an, und für einen Moment war es wieder still im herzoglichen Gemach - so still, dass die Erscheinung wie ein kalter Lufthauch an ihnen vorüberzog. Eins der Mädchen begann zu weinen.
Ima verstand. Eine Traumgestalt war Teufelszeug, nur Frauen nahmen sie ernst und konnten Trost darin finden, ganz gleich, in welchen Stand sie hineingeboren waren. Sanft nahm sie die Hand der Langobardin zwischen ihre Hände. »Lasst uns den Allmächtigen um Erbarmen und um Gnade bitten«, sagte sie leise. »Er wird uns erhören.« Und leise stimmte sie das Pater noster an, wie sie es von der Mutter gelernt hatte, und sie sang die Strophen, wie man es im Kloster von Lindisfarne zu tun pflegte. Die Hand der Herzogin blieb bei ihr. Leise streichelte der Weihrauch ihre bebenden Seelen, versuchte, kommendes Leid zu mildern und das Herz für Prüfungen zu stärken. Der Priester indes verharrte, wo er war. Es war vielleicht unter seiner Würde, mit einer stadtbekannten Kräuterfrau zu beten, zumal sie nach dem Pater noster das De profundis anstimmte, was ihr nicht anstand. Trotzdem mochte auch er fühlen, dass Gott sich zu ihnen gesellt hatte und dass es um Leben und Tod ging. Und so legte er stumm noch ein paar Weihrauchbröckchen mehr auf die Räucherkohle und ließ den Rauch in Richtung der Frauen steigen, auf dass er sie umhülle und ihre Gebete verstärke.
Dann galoppierte ein Pferd in den Hof der Residenz. Laute Rufe, Schnauben, Geklirre. Hufgetrappel, wie wenn ein
Pferd auf der Stelle tanzt, weil es nachdrücklich angehalten wird. Jemand lachte, dann erklangen Laufschritte in Richtung Gebäude. Der Hof erwachte zum Leben - so früh am Morgen. Ein Pferd wieherte, Männer liefen umher, es wurde geschäftiger Tag, obwohl nur ein paar Laternen die Nacht erhellten.
Sicaildis entzog Ima ihre Hand und setzte sich aufrecht hin. »Wickelt das Bein fertig«, sagte sie knapp, und Ima beeilte sich. Mit der Linken griff die Herzogin nach ihrem Schal, die Dienerin huschte bereits nach dem Mantel. Alle Residenzbewohner kannten die Geräusche, die ein Bote des Herzogs verursachte. Diesmal jedoch schien es anders zu sein. Ganz anders. Die Burg lauschte - und erstarrte.
»Rasch«, hetzte Sicaildis das Mädchen durch den Raum. Mantel, Schleier, mit einer Hand durchs Haar gefahren, welches sie in der Nacht offen statt eingeflochten trug, als könnte das dem fern weilenden Gatten gefallen. »Rasch, das Öl!« Ein Tupfer an den Hals, die Beine aus dem Bett geschwungen, Ima sank auf die marmorne Stufe, mit klopfendem Herzen, denn draußen erklangen donnernd Schritte. Einen Moment lang hoffte sie kindisch, dass es der Herzog selbst war, der sein Weib in der Nacht besuchen kam, so wie es in den Geschichten erzählt wurde, wenn der Held seine Sehnsucht nicht mehr aushielt.
In gewisser Weise war es auch der Herzog.
Er war gekommen durch einen Ring und eine Botschaft an sein geliebtes Weib, Herzogin Sicaildis von Apulien. Der
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