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Die Totenleserin1

Die Totenleserin1

Titel: Die Totenleserin1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: franklin
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in Panik geraten war, als Simons Wagen mit Prior Geoffrey den Weg zum Wandlebury Ring hochgerumpelt war. Rakshasa war ein schuldhaftes Wesen und hatte sich auch genauso verhalten, als er in der Nacht die Leichen aus dem Schacht holte und sie den Hang hinuntertrug, damit sein Versteck geheim blieb.
    Dieser Schacht ist dein Zuhause, dachte sie, so kostbar, dass er dich angreifbar macht. Er strahlt für dich, so wie er das jetzt für mich tut, selbst wenn der Deckel darauf liegt. Er ist der Schacht in deinen Körper, der Eingang zu deiner verkommenen Seele, dein Schicksal, das offenbart wird. Für dich schreit seine Existenz zum Himmel, der darüber empört ist.
    Und ich habe ihn gefunden.
    Sie lauschte. Ringsum wisperte und raunte das Leben auf dem Hügel, doch aus dem Schacht drang kein Laut. Sie hätte nicht allein herkommen sollen, gütiger Gott, nein, wirklich nicht. Wie sollte sie dem kleinen Jungen helfen, ohne Verstärkung und ohne irgendjemandem erzählt zu haben, wohin sie wollte?
    Aber der Augenblick hatte es so verlangt. Ihr fiel nichts ein, was sie hätte anders machen können. Es war ohnehin nicht mehr zu ändern, die Milch war verschüttet, und sie musste sie jetzt irgendwie aufwischen.
    Falls Ulf tot war, könnte sie die Leiter hochziehen und das Rad über die Öffnung schieben, den Mörder gleichsam lebendig begraben und Rakshasa tobend in seiner eigenen Gruft zurücklassen.
    Aber sie hatte in dem Glauben gehandelt, dass Ulf nicht tot war, dass die anderen Kinder in Rakshasas Folterkammer noch eine Weile gelebt hatten, ehe er bereit für sie war – eine Hypothese, die auf dem beruhte, was ihr der Körper eines toten Jungen einst erzählt hatte. Ein so dünner Beweis, eine so zarte Hoffnung, und doch stark genug, um sie in den Kahn der Nonnen zu ziehen und dann querfeldein marschieren zu lassen bis hierher, zu diesem Höllenloch, damit …
    Damit … was?
    Adelia lag ausgestreckt da, den Kopf über den Rand des Schachtes gereckt, und erwog ihre Möglichkeiten mit der eiskalten Logik der Verzweiflung.
    Sie konnte Hilfe holen, doch das würde zu lange dauern – die letzte menschliche Behausung, die sie gesehen hatte, war der Hof von Schwester Walburgas Tante gewesen. Und jetzt, wo sie Ulf so nahe war, konnte sie ihn nicht im Stich lassen. Sie konnte in den Schacht hinuntersteigen und getötet werden, wozu sie letzten Endes bereit sein musste, falls Ulf dadurch die Flucht ermöglicht wurde.
    Oder, und das wäre erheblich verdienstvoller, wie sie fand, sie könnte hinuntersteigen und den Mörder töten. Wozu sie unbedingt eine Waffe benötigte. Ja, sie musste etwas finden, einen Knüppel oder einen Stein, irgendetwas Scharfes …
    Neben ihr zuckte Aufpasser plötzlich zusammen. Zwei Hände packten Adelias Fußknöchel und rissen sie hoch, so dass sie vorwärts glitt. Und dann stieß sie jemand mit einem angestrengten Stöhnen in das Loch hinab.
    Die Leiter war ihre Rettung. Sie prallte auf halbem Weg nach unten dagegen, brach sich durch die Wucht des Aufschlags ein paar Rippen und rutschte dann, durch die unteren Sprossen gebremst, weiter abwärts. Sie hatte noch Zeit – erstaunlich lange Zeit, wie es ihr schien – für den Gedanken:
Ich muss beiBewusstsein bleiben
, bevor sie mit dem Kopf auf den Boden schlug und gar nichts mehr denken konnte.

    Das Bewusstsein ließ sich lange Zeit, ehe es sie wieder erreichte. Es schob sich gemächlich durch eine undeutliche Ansammlung von Menschen, die sie hartnäckig bedrängten und hin und her schoben und auf sie einredeten, was sie derart störend fand, dass sie ihnen gerne gesagt hätte, sie sollten damit aufhören, doch die Schmerzen waren zu stark.
    Allmählich verschwanden sie, und das Gewirr von Stimmen wurde immer dünner, bis nur noch eine einzige übrig blieb, die aber ebenso störend war.
    »Ruhe jetzt«, sagte Adelia und öffnete die Augen, doch das tat so weh, dass sie beschloss, noch eine Weile bewusstlos zu bleiben, was sich jedoch als unmöglich erwies, weil das Grauen auf sie und jemand anderen wartete, so dass ihr Verstand, der sich ihr eigenes Überleben und das des anderen Menschen in den Kopf gesetzt hatte, unbedingt weiterarbeiten wollte.
    Bleib ruhig und denk nach. Gott, dieser
Schmerz
. Irgendwer bohrte ihr den Schädel auf. Das musste eine Gehirnerschütterung sein – sie konnte nicht abschätzen, wie schwer, weil sie nicht wusste, wie lange sie bewusstlos gewesen war. Die Zeitdauer war immer ein Symptom für die Schwere.
Verdammt, tat das

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