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Die Totenleserin1

Die Totenleserin1

Titel: Die Totenleserin1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: franklin
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weh
. Genau wie ihre Rippen, vermutlich waren zwei gebrochen, aber – mit schmerzverzerrtem Gesicht holte sie versuchsweise tief Luft – vermutlich keine Perforation der Lunge. Die Tatsache, dass sie offenbar stand und die Arme über den Kopf gestreckt hatte, war nicht gerade hilfreich, weil so Druck auf der Brust lastete.
    Unwichtig. Du bist in großer Gefahr, dein Gesundheitszustand ist dagegen unwichtig.
Denk nach und überlebe
.
    Also. Sie war in dem Schacht. Sie erinnerte sich, oben an derÖffnung gewesen zu sein; jetzt war sie ganz unten. Bei dem kurzen Blick in das Loch hatte sie ringsherum nur Weiß gesehen. Was sie nicht mehr wusste, war, wie sie von oben nach unten gekommen war – die natürliche Folge einer Gehirnerschütterung. Gestoßen oder gestürzt, offensichtlich.
    Und es war noch jemand gestürzt, oder er war vor oder nach Adelia hierhergebracht worden, denn bei ihrem kurzen Versuch, die Augen zu öffnen, hatte sie an der gegenüberliegenden Wand eine Gestalt gesehen. Und diese Gestalt gab unaufhörlich störende Laute von sich.
    »Rette-und-erlöse-mich, gütiger-Herr-und-Meister-und-ich-werde-Dir-nachfolgen-all-meine-Tage-und-ich-werde-Dich-fürchten. Züchtige-mich-mit-Deinen-Peitschen-und-Skorpio-nen-und-behüte-mich-dennoch …«
    Das Gestammel kam von Schwester Veronica. Die Nonne stand etwa zehn Fuß entfernt auf der anderen Seite einer nach oben offenen Kammer, in die der Schacht mündete. Nonnenschleier und Haube waren heruntergerissen worden und hingen ihr um den Hals, und das gelöste Haar fiel ihr vors Gesicht wie dunkle Nebelfetzen. Die Hände hatte sie über den Kopf gereckt, wo sie wie die von Adelia an einen Bolzen gefesselt waren.
    Sie war vor Entsetzen nicht mehr Herr ihrer Sinne, Speichel tropfte ihr vom Kinn, und ihr bebender Körper brachte die eisernen Handschellen an ihren Gelenken so heftig zum Klappern, dass es sich anhörte wie eine Begleitung zu dem Gebet um Errettung, das aus ihrem Mund strömte.
    »Haltet doch mal den Mund«, sagte Adelia ärgerlich.
    Veronicas Augen weiteten sich vor Schreck und, ein klein wenig, vor berechtigter Empörung. »Ich bin Euch gefolgt«, sagte sie. »Ihr wart weg, und ich bin Euch gefolgt.«
    »Das war unklug«, stellte Adelia fest.
    »Das Tier ist hier, Maria, Mutter Gottes, beschütze uns, es hatmich genommen, es ist hier unten, es wird uns fressen, oh, Jesus, Maria, errettet uns beide, es ist
gehörnt.«
    »Schon möglich, aber hört auf, so zu schreien.«
    Adelia wappnete sich gegen den Schmerz und wandte den Kopf, um sich umzusehen. Ihr Hund lag mit gebrochenem Genick am Fuß der Leiter.
    Ein Schluchzen stieg aus ihrer Kehle hoch. Nicht jetzt, nicht jetzt, beschwor sie sich. Dafür ist jetzt keine Zeit, du kannst jetzt nicht trauern. Wenn du überleben willst, musst du nachdenken. Aber, ach, Aufpasser …
    Die Flammen zweier Fackeln, die in Kopfhöhe auf beiden Seiten der Kammer in Halterungen steckten, beschienen grobe, runde Wände, deren Weiß nur mancherorts von grünlichen Algen durchbrochen wurde. Es war, als stünden sie und Veronica auf dem Grund einer gewaltigen Röhre aus dickem, schmutzigem, zerknittertem Papier.
    Sie waren allein. Von dem Tier der Nonne war nichts zu sehen, doch auf beiden Seiten gingen zwei Tunnel ab. Der links von Adelia hatte nur eine kleine Öffnung, ein Kriechraum, der mit einem Eisengitter abgesperrt war. Der rechts von ihr wurde von unsichtbaren Fackeln erhellt und war so groß, dass ein Mann hindurchkonnte, ohne sich bücken zu müssen. Eine Biegung versperrte ihr die Sicht, so dass sie nicht sehen konnte, wie lang er war, doch gleich am Anfang lehnte ein verbeulter, polierter Schild mit dem Kreuzfahrerkreuz darauf an der Wand und spiegelte die Kreide der gegenüberliegenden Seite wider.
    Und in der Mitte dieser Folterkammer, auf halbem Weg zwischen ihr und Veronica und dem toten Hund, nahm der Altar des Tieres einen Ehrenplatz ein.
    Es war ein Amboss. So alltäglich an seinem rechtmäßigen Platz, hier jedoch so grauenhaft. Ein Amboss, der von der strohgedeckten Wärme einer Schmiede hierhergeschleppt worden war,um Kinder darauf zu durchbohren. Obendrauf lag die Waffe, glänzend zwischen den Flecken, eine Speerspitze. Sie war facettiert – so wie die Wunden, die sie geschlagen hatte.
    Feuerstein, großer Gott, Feuerstein. Feuerstein, der schichtweise in Kreidegestein eingelagert war. Uralte Teufel hatten diesen Schacht gegraben, um an den Feuerstein ranzukommen, den sie dann formten, um damit zu

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