Die Totenleserin1
enthüllt. Eine Tür war aufgebrochen worden, und etwas Stinkendes quoll daraus hervor.
»Ich hab zur Muttergottes gebetet … errette mich, errette mich, gütige Maria … aber er hat mich mit seinem Horn durchbohrt, hier,
hier.
Es tat so weh … Er hatte ein Geweih … Ich konnte nicht … Geliebter Sohn Mariens, er zwang mich, ihm zuzusehen … wie er schreckliche Dinge tat, schreckliche Dinge … Blut, so viel Blut. Mich dürstete nach dem Blut Unseres Herrn, doch ich war die Sklavin des Teufels … er tat mir weh, so weh … Er hat mir in die Brüste gebissen, hier,
hier,
er hat mich ausgezogen … mich geschlagen … er hat sein Horn in meinen Mund gestoßen … Ich hab gebetet, der gute Heiland möge zu mir kommen … aber er ist der Fürst der Finsternis … seine Stimme in meinen Ohren, die mir auftrug, Dinge zu tun … Ich hatte Angst … haltet ihn auf, lasst ihn nicht …« Gebete, Erniedrigungen. Es ging weiter und weiter.
Aber auch dein Bund mit der Bestie, dachte Adelia. Weiter und weiter. Monatelang. Kind für Kind herbeigeschafft, bei seinenQualen zugeschaut, und niemals ein Versuch, sich zu befreien. Das ist keine Versklavung.
Falls Veronica ihre Seele offenbarte, so offenbarte sie auch ihren jungen Körper. Der Rock war hochgerutscht, ihre kleinen Brüste waren durch die Risse im Habit zu sehen.
Es ist eine Vorstellung. Sie gibt dem Teufel die Schuld. Sie hat Simon getötet. Sie genießt es. Es bereitet ihr Lust, ja, Lust.
Ein Blick hinüber zu den Richtern zeigte ihr, dass sie gebannt waren, nicht nur gebannt, schlimmer noch: Der Bischof von Norwich drückte eine Hand in den Schritt, der alte Archidiakon hechelte. Hubert Walter sabberte. Sogar Rowley leckte sich die Lippen.
Als eine kurze Pause eintrat, in der Veronica um Atem rang, sagte der Bischof fast ehrfürchtig: »Ein Dämon ist in sie gefahren. Ein ganz klarer Fall von Besessenheit.«
Die Dämonen waren schuld. Ein weiterer Versuch des Fürsten der Finsternis, die Mutter Kirche zu Fall zu bringen. Ein bedauerlicher, aber erklärlicher Zwischenfall im Krieg zwischen Sünde und Heiligkeit. Nur der Teufel war schuld. Hilflos hob Adelia den Blick und sah in das Gesicht des einzigen Mannes im Raum, der sich das Ganze mit sardonischer Bewunderung ansah.
»Sie hat Simon aus Neapel getötet«, sagte Adelia.
»Ich weiß.«
»Sie hat geholfen, die Kinder zu töten.«
»Ich weiß.«
Veronica kroch jetzt über den Boden, schlängelte sich zu den Richtern. Sie umklammerte die Pantoffeln des Archidiakons, und ihr weiches, dunkles Haar ergoss sich über seine Füße. »Errettet mich, Mylord, lasst nicht zu, dass er mir wieder Gewalt antut. Mich dürstet nach Unserem Herrn, gebt mich meinem Erlöser zurück. Schickt den Teufel fort.« Sie war baraller Vernunft, aufgelöst, ihre Unschuld war verschwunden, und sinnliche Schönheit hatte ihren Platz eingenommen, älter und angegriffener als diejenige, die sie verdrängt hatte, aber dennoch Schönheit.
Der Archidiakon beugte sich zu ihr. »Ist ja gut, Kind.«
Der Tisch erbebte, als Henry von ihm heruntersprang. »Haltet Ihr Schweine, Prior?«
Prior Geoffrey riss den Blick los. »Schweine?«
»Schweine. Und irgendwer helfe dieser Frau auf die Beine.« Anweisungen wurden erteilt. Die beiden Soldaten zogen Veronica hoch, so dass sie zwischen ihnen hing.
»Nun denn, Madam«, sagte Henry zu ihr, »Ihr könnt uns helfen.«
Als Veronicas Augen an ihm hochglitten, verrieten sie einen Moment lang Berechnung. »Gebt mich meinem Erlöser zurück, Mylord. Ich will mich im Blut Unseres Herrn von meinen Sünden reinwaschen.«
»Erlösung liegt in der Wahrheit und somit darin, dass Ihr uns erzählt, wie der Teufel die Kinder getötet hat. Auf welche Weise. Ihr müsst es uns zeigen.«
»Der Herr will das? Da war Blut, so viel Blut.«
»Er besteht darauf.« Henry hob warnend eine Hand, als die Richter empört aufsprangen. »Sie weiß es. Sie hat zugesehen. Sie soll es uns zeigen.«
Hugh kam mit einem Ferkel herein, das er dem König zeigte. Der nickte. Als der Jäger es Richtung Küche trug, sah eine verwirrte Adelia eine kleine runde, schnüffelnde Schnauze. Es roch nach Stall.
Einer der Soldaten bugsierte Veronica in dieselbe Richtung, gefolgt von dem anderen, der ein blattförmiges Messer feierlich auf ausgestreckten Händen trug, das Feuersteinmesser,
das
Messer.
Will er, dass das geschieht? Gott schütze uns, gütiger Gott, schütze uns alle.
Die Richter, die ganze Versammlung, die blinzelnde
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