Die Totentänzerin: Ein Fall für Nils Trojan 3 - Psychothriller (German Edition)
schaute auf den nackten Körper des Mannes, eingeschnürt in die Wäscheleine, auf die Stelle am Hinterkopf, wo der Schädel zertrümmert war, ein schreckliches Déjà-vu, als müsste er immerzu mit ansehen, wie sie zu spät kamen und das Morden nicht verhindern konnten. Aber es war etwas anderes, auf das ihn Holbrecht aufmerksam machen wollte.
Trojan betrachtete die Frau, die nackt unter dem Mann lag, an ihn gefesselt, die Arme von sich gestreckt, er erkannte die tiefen senkrechten Schnitte bis hoch zu beiden Armbeugen, ihr Blut hatte das Laken rot verfärbt, und ihr Gesicht war bleich und wächsern.
Er legte seine Finger an den Hals der Frau und versuchte, sich nicht von dem aufgeregten Gemurmel im Zimmer ablenken zu lassen, denn nun hatten auch die anderen Kollegen das schwache Zucken ihres Körpers bemerkt, und er spürte den Hauch eines Pulsschlags, flackernd, kaum wahrnehmbar.
»Eine Schere«, rief er, »schnell, um Himmels willen, wir müssen sie losbinden.«
Er streifte sich ein Paar Latexhandschuhe über und entknotete das schwarze Tuch, das um den Mund der Frau gebunden war.
Und dann wurde Trojan die Schere gereicht, und er durchtrennte die Fesseln.
»Halten Sie durch«, murmelte er, »Sie schaffen das.«
Und endlich waren die Sanitäter im Raum, die Frau wurde notärztlich versorgt, auf eine Trage gelegt und in die Klinik gebracht.
Für den Mann aber kam jede Hilfe zu spät. Dr. Semmler, der schließlich eingetroffen war, konnte nur noch seinen Tod feststellen.
Mittlerweile war auch Landsberg am Tatort.
Er sagte etwas zu Trojan, doch er hörte gar nicht zu. Urplötzlich wusste er, was ihn zuvor irritiert hatte. Er ließ seinen verblüfften Chef stehen und stürmte die Treppe hinunter.
Die Schar der Gaffer hatte sich vergrößert und drängte gegen die Absperrbänder. Und da war auch der Journalist, ihm fiel in diesem Moment der Name wieder ein, Dietz hieß der, aber um Dietz ging es nicht, sondern um die Frau, die neben ihm stand und Trojan schon bei seiner Ankunft aufgefallen war. Sie trug Kopftuch und Sonnenbrille, war in einen dünnen Mantel gehüllt, unter dem sie offenbar fror.
Für den Bruchteil einer Sekunde blickten sie sich an. Schon war sie buchstäblich in der Menge untergetaucht.
Trojan duckte sich unter der Flatterleine hindurch und bahnte sich einen Weg durch die Menschenansammlung. Er wurde gestoßen und beschimpft, dafür zückte er seinen Dienstausweis und teilte Ellenbogenhiebe aus.
Schließlich sah er die Frau an der nächsten Straßenecke.
Er rannte los.
Doch kaum war er dort, war sie wie vom Erdboden verschluckt.
Atemlos schaute er sich um. Sollte er sich etwa geirrt haben ?
Nein, er war sich ziemlich sicher. Er kannte diese Frau, die soeben vor ihm die Flucht ergriffen hatte.
Was um alles in der Welt hatte sie hier zu suchen ?
Es war Samstag am frühen Abend. Das Team der Fünften Mordkommission hatte sich im Sitzungsraum versammelt. Ihnen allen war die Erschütterung über das entsetzliche Vorgehen des Serientäters an den Gesichtern abzulesen.
Landsbergs Haltung war gespannt, sein Rücken unnatürlich durchgestreckt, die Stimme rau.
»Stefanie, was kannst du uns aus der Klinik berichten ?«
»Nichts Gutes. Mara Hertling ist ins Koma gefallen, sie ist nicht ansprechbar, der Blutverlust war einfach zu hoch. Ihre Überlebenschancen werden von den Ärzten als äußerst gering eingeschätzt.«
Diese Prognose löste für einen Moment betretenes Schweigen aus.
»Wurde Personenschutz angeordnet ?«, fragte Landsberg.
»Ja«, sagte Stefanie, »sie wird auf der Intensivstation streng bewacht.«
»Gut, denn sie ist unsere wichtigste Zeugin. Weiter. Nils, was hast du für uns ?«
Trojan war um Konzentration bemüht. Mehrfach hatte er während der Ermittlungen sein Handy gecheckt, doch Jana antwortete auf seine SMS nicht, in der er sich bei ihr für den Abend bedankt hatte. Musste er sich Sorgen um sie machen ? War sie in der Nacht heil bei sich zu Hause angekommen ? Er wusste es nicht, gleichzeitig schalt er sich selbst dafür, dass er sich von diesen Gedanken ablenken ließ, schließlich verlangten die grausamen Taten des Mörders seine volle Aufmerksamkeit. Oder war es eher eine Mörderin ? Noch hatte er nicht mit Landsberg über seine merkwürdige Entdeckung sprechen können, und auch wenn er es sich nicht eingestehen wollte, er schreckte davor zurück, zu ungeheuerlich war sein Verdacht. Vielleicht war diese Frau ja einfach nur von einer unbändigen
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