Die Traene des Drachen
Jadora einfach sitzen und ging zu Arok, der in einigem Abstand von seinen Artgenossen graste. Die Männer füllten noch ihre Wasserschläuche am Fluss auf. Dann ließ Jadora aufsitzen. Maél studierte nochmals den verbleibenden Weg zu ihrem Ziel auf einer Landkarte und bestieg als letzter sein Pferd. Jadora kam auf ihn zugeritten und warf ihm mit grimmigem Blick seinen vollen Wasserschlauch an die Brust. Dann setzten die Reiter ihren Ritt wortlos fort. Maél hatte gerade begonnen, sich nach Jadoras lästiger Tirade auf Aroks Rücken zu entspannen, als der ältere Mann jedoch das Schweigen brach. „Hast du dich nie gefragt, was für ein Interesse König Roghan an diesem Mädchen haben könnte?“
„ Nein. Ehrlich gesagt, interessiert es mich auch gar nicht. Ich führe nur den Befehl aus. Habe ich deine Frage damit zufriedenstellend beantwortet?“, erwiderte Maél in gereiztem Ton. „Ich wette, es hat irgendetwas mit den alten Schriftrollen zu tun, die sie in der geheimen Kammer entdeckt haben.“ Maéls Mund verzog sich spöttisch unter seiner Maske. „Zu dieser Erkenntnis bin ich längst auch schon gekommen. Nicht umsonst arbeitet Darrach seit Jahren wie besessen an ihrer Übersetzung.“
„ Und dass wir sie unbedingt unberührt nach Moray bringen sollen, erscheint mir auch äußerst merkwürdig. Vielleicht sucht Roghan ja eine unverdorbene Jungfrau vom Lande als Gemahlin für Prinz Finlay“, gab Jadora scherzend zu bedenken. „Da macht Finlay aber einen vorteilhaften Eindruck, wenn er mich, den maskierten schwarzen Jäger mit sieben bis an die Zähne bewaffneten Kriegern schickt.“ Auf Maéls Sarkasmus hin hallte Jadoras Lachen laut über die Steppe hinweg, über deren hohes Gras der Wind sanft wie eine streichelnde Hand wehte.
Kapitel 2
Elea saß an ihrem kleinen Tisch und starrte unentwegt auf das steinerne Auge, das ebenso wenig aufhörte,
sie
anzusehen. So empfand sie es zumindest. Sie ließ noch einmal jede einzelne der unheilvollen Neuigkeiten Revue passieren, um zu dem Schluss zu kommen, sich von alldem nicht unterkriegen zu lassen. Die Vorstellung, auf einem Drachen zu reiten und irgendeinen Bösewicht unschädlich zu machen, bereitete ihr zwar immer noch große Angst, aber sich von einem finsteren Kerl jagen und fangen zu lassen, das machte sie richtig wütend. König Roghan schien ein außerordentliches Interesse an ihr zu haben, wenn er diesen von allen gefürchteten Mann nach ihr suchen ließ, um sie zu ihm zu bringen.
Elea nahm mit einem Mal von unten kommend Stimmen und das Geklapper von Geschirr wahr. Sie erhob sich vom Stuhl, stieß sich schwungvoll vom Tisch ab und ging die Treppe hinunter. Dabei stieg ihr der Duft von Eintopf und frisch gebackenem Brot in die Nase. Ihr Frühstück lag schon viele Stunden zurück, sodass sich in ihr nun doch ein beträchtliches Hungergefühl bemerkbar gemacht hatte.
Die Stimmen verstummten sofort, als die Familie Elea auf der Treppe bemerkte. Kaitlyn kam gleich auf sie zugestürzt und fragte zaghaft: „Hast du jetzt große Angst, dass die Soldaten dich fangen, Elea?“
„ Ein bisschen schon, Kaitlyn. Aber bis sie hier sind, bin ich längst über alle Berge“, versuchte Elea das Mädchen mit zuversichtlicher Stimme und einem Lächeln auf den Lippen zu beruhigen. Dann kitzelte sie sie an ihrem Bauch. Kaitlyns herzhaftes Lachen zauberte ein Lächeln in Breannas Gesicht. Die männlichen Vertreter der Familie allerdings schienen zu einem solchen keineswegs in der Lage zu sein. Kellen schaute steif und unbeirrt, die Hände zu Fäusten geballt, aus dem Fenster. Albin hatte inzwischen die Landkarte beiseite gelegt und widmete sich intensiv seiner kleinen Waffensammlung, bestehend aus mehreren Messern und zwei Schwertern, die Elea zuvor noch nie zu Gesicht bekommen hatte. Bei dem Anblick des Schwertes musste sie schwer schlucken. Albin war zwar ein großer, kräftiger Mann, dessen Körper viel Bewegung und schwere Arbeit gewohnt war. Aber die Vorstellung, dass er mit einem Schwert gegen kampferprobte Krieger ihr Leben verteidigen sollte, ließ Eleas Herz zusammenkrampfen. Ihr entgingen nicht die angsterfüllten und leidvollen Augen Breannas, die ihren Blick nicht von den Waffen abwenden konnte. Erst als sie bemerkte, wie Elea sie beobachtete, lächelte sie ihr gequält zu und fuhr damit fort, das Essen in die Schüsseln zu füllen. Noch während sie sich neben Louan setzte, der wie gebannt auf das Brot starrte, das bereits in einer Holzschüssel in
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