Die Traene des Drachen
„Glaube mir, mein Kind, es fällt mir nicht leicht, das zu sagen, aber du hast mit allem recht, was du sagst. Aber es ist mindestens genauso schrecklich, dich alleine gehen, dich alles, was noch auf dich zukommt, alleine durchstehen zu lassen. Auch wenn in deinen Adern nicht mein Blut fließt, habe ich in dir immer eine Tochter gesehen, die ich genauso liebe wie meine eigenen Kinder... Was sollen wir nur tun?“ Die letzten Worte kamen schluchzend aus Breannas Mund. „Wir machen es so, wie ich gesagt habe. Ich werde heute Nacht in den Wald fliehen. Albin hat mir alles beigebracht, um im Wald zu überleben. Außerdem habe ich noch die Tiere auf meiner Seite, wie du ja vor einigen Jahren selbst herausgefunden hast. Sie können mir vielleicht irgendwie von Nutzen sein. Ich weiß zwar noch nicht wie, aber irgendetwas wird mir sicherlich einfallen. Du sagst doch selbst immer, ich sei stark, vielleicht stärker als ihr alle zusammen, oder nicht!? Und Albin sagt immer, dass, wenn ich etwas erreichen wollte, es auch bisher immer erreicht habe, weil ich es einfach nur wollte. Ich bin die beste Bogenschützin weit und breit. Ich werde dir hoch und heilig versprechen, dass ich nicht davor zurückschrecken werde, auf einen Menschen zu schießen, wenn mein Leben davon abhängt. Und ich werde auch ein Tier töten, bevor ich verhungere. Und falls sie mich doch kriegen sollten, was soll mir dann schon groß passieren? Wenn ihr Auftrag wäre, mich zu töten, dann hätte Roghan diesen maskierten Krieger allein losschicken können, ohne großes Aufsehen zu erregen. Aber so! Ein königlicher Reitertrupp aus acht oder zehn Männern fällt doch auf! Findest du nicht auch, Breanna?“ Elea fielen keine weiteren Argumente mehr ein, wie sie Breanna von ihrem Plan überzeugen konnte. Sie hoffte jetzt nur, dass ihre Mutter sich dazu durchringen würde, ihr zu helfen. Diese hatte sich inzwischen gefasst und stellte die von Elea so ersehnte Frage: „Was soll ich tun?“ Elea atmete erleichtert auf und ergriff Breannas Hände. „Ich werde jetzt gleich so tun, als ginge ich zu Bett. Wenn Albin und die Jungen zurückkommen, verwickle sie in ein Gespräch, sodass ich eure Stimmen hören kann. Ich werde dann den richtigen Zeitpunkt abpassen und aus dem Fenster klettern.“
„ Aber du wirst gehen müssen, ohne dich von ihnen zu verabschieden! Kaitlyn und Louan werden es verkraften, aber Albin und Kellen wird es das Herz brechen.“ Elea schaute Breanna unglücklich an und legte ihr die Hände auf die Schultern. „Sie werden darüber hinwegkommen müssen, genauso, wie ich es muss. Glaubst du, mir fällt es leicht, einfach so zu gehen, nach allem, was Albin für mich getan hat - und von Kellen ganz zu schweigen. Er ist unglücklich in mich verliebt. Ich habe mich heute ihm gegenüber so unsensibel und herzlos verhalten. Aber ich musste es tun. Nur so konnte ich ihn von mir fernhalten. – Außerdem bin ich vielleicht gar nicht lange von euch getrennt. Sobald die Luft wieder rein ist, soll Albin mich suchen gehen und zurückholen.“ Breanna holte tief Atem, strich – wie sie es heute schon mal gemacht hatte – über ihr Kleid und nickte Elea zu. Sie beendeten rasch den Abwasch. Dann nahm Breanna plötzlich Elea an die Hand und führte sie zu ihrem und Albins Schlafzimmer, das sich direkt neben der Wohnstube befand. „ Ich habe dir eine Tasche mit den notwendigsten Dingen gepackt.“ Sie traten in das Zimmer ein. Während Breanna weiter zum Schrank ging, blieb Elea wie angewurzelt vor dem Bett stehen. Sie sog die Wärme und Geborgenheit verströmende Atmosphäre des Zimmers in sich auf, die sie in ihren Kindertagen so sehr geliebt hatte. Früher war es im Haus immer ihr Lieblingsort gewesen. Als sie jedoch älter wurde, ging sie nur noch selten hinein, weil sie begriffen hatte, dass es Albins und Breannas Zufluchtsort vor dem Alltagstrubel war. Hier konnten sie ihre Zweisamkeit mehr oder weniger ungestört genießen. Es roch immer noch so gut nach den getrockneten Lavendelsträußen, die ihre Pflegemutter anstelle von Vorhängen um das Fenster aufgehängt hatte. Eine riesige Holzschüssel mit ebenfalls getrockneten Rosenblütenblättern stand auf der großen Kommode. Auf jedes der beiden Nachtischschränkchen hatte sie, wie damals, kleine, tönerne Vasen mit frischen Blumen aus ihrem Garten gestellt. Doch was Elea am meisten aufwühlte, waren Breannas Kohlezeichnungen, die über dem Kopfende des Bettes an der Wand hingen. Auf ihnen hatte die
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