Die Traene des Drachen
es nach einer kleinen Weile an die Tür klopfte. Einen Wimpernschlag später kam auch schon Belana mit Eleas Frühstück hereingetreten. Belanas Überraschung darüber, dass Elea schon reisefertig war, zumindest bis auf das Frisieren ihres Haars, stand ihr deutlich ins Gesicht geschrieben. „Wie ich sehe, Elea, wartet Ihr bereits auf mich und meine Haarkünste. Ich...“ In dem Moment, als Belana das Tablett vor Elea abstellen wollte, erblickte sie die Schere. Bei ihrem Anblick versagten ihr die Worte, sodass sie ihren angefangenen Satz nicht beenden konnte. Sie suchte schockiert Eleas Blick im Spiegel. Als sie ihn fand, erübrigte sich jegliche Frage. Sie stellte das Tablett ab und wollte schon zu einem Protest ansetzen, als Elea ihr zuvorkam. Mit entschlossener, aber ruhiger Stimme begann sie zu sprechen: „Belana, ich weiß, wie Ihr darüber denkt. Aber ich bitte Euch, hört mich zuerst an, bevor Ihr mein Vorhaben verurteilt.“ Belana blieb mit ernstem Blick hinter der jungen Frau stehen und verschränkte erwartungsvoll die Arme.
„ Belana, Ihr könnt unschwer erkennen, dass mein Haar in der vergangenen Woche mehr als eine Handbreit gewachsen ist. Ihr wisst selbst, dass ich mir aus meinem Haar nicht sehr viel mache und Ihr habt auch gesehen, dass ich mit ihm nicht umgehen kann, schon gar nicht bei dieser Länge. Ich weiß nicht, wie lange die Reise dauern wird, aber sicherlich so lange, dass es wieder mindestens zwei Handbreit in dieser Zeit wachsen wird. Ich kann wohl kaum Maél oder Jadora bitten es mir zu kämmen oder die Knoten zu entwirren, meint Ihr nicht auch? Glaubt mir, es ist mir eine Last – jetzt schon -, und erst recht auf der Reise. Wenn Ihr es mir jetzt nicht abschneidet, dann werde ich Jadora bitten, es zu tun. Er trägt in seinen Satteltaschen fast seinen ganzen Hausrat mit sich herum. Dann findet sich in ihnen bestimmt auch eine Schere. Mir wäre es aber viel lieber, wenn Ihr es tätet.“ Elea hielt für einen Moment inne, um sich zu räuspern, während Belana, wie zu einer Salzsäule erstarrt, sie nicht aus den Augen ließ. „Ich sitze hier schon eine Weile vor der Schere. Ich hätte es mir einfach abschneiden und Euch vor vollendete Tatsachen stellen können. Das wollte ich aber nicht. Ich wollte Euer Einverständnis. Es bedeutet mir sehr viel.“
Je länger Belana Eleas rührende Worte verfolgt hatte, desto größer war der Kloß in ihrer Kehle geworden, gegen den sie nur mühsam anschlucken konnte. Die Erste Hofdame musste einsehen, dass Elea mit allem, was sie sagte, recht hatte. Ihr war durchaus klar, dass bei einer so strapaziösen Reise, die auf das Mädchen wartete, ästhetische Gesichtspunkte zugunsten praktischer an Bedeutung verloren. Dennoch sträubte sich jede Faser ihres Körpers gegen eine so radikale Handlung. Allerdings die Tatsache, dass Elea sich nicht einfach über ihren Willen hinweggesetzt und ihr Haar bereits ohne ihr Einverständnis abgeschnitten hatte, berührte sie zutiefst. Sie sah in die flehenden Augen der jungen Frau und musste an das denken, was sie bereits alles durchmachen musste, nicht nur auf der Reise nach Moray, sondern auch in den letzten Tagen hier auf dem Schloss. Nachdem sie es endlich geschafft hatte, den Kloß hinunterzuschlucken, atmete sie dreimal tief ein und aus. Dann ergriff sie die Schere und machte sich wortlos daran, Elea von ihrer Last zu befreien.
Der Morgen kündigte sich endlich an, als Elea sich in ihrem Zimmer von Belana und Lyria verabschiedete. Belana hätte Elea gerne zum Abschied in die Arme genommen, um sie fest an ihr Herz zu drücken, aber aus Rücksicht auf ihre Verletzung begnügte sie sich damit, ihr einen Kuss auf die Stirn zu drücken und ihr viel Glück zu wünschen. Dabei konnte sie nicht widerstehen, noch an dem Kopftuch herumzuzupfen, das sie Elea gleich, nachdem sie die letzte Haarsträhne abgeschnitten hatte, ähnlich kunstvoll wie Breanna um den Kopf drapiert hatte. Lyria nahm Eleas Hände in ihre und drückte sie fest und wünschte Ihr ebenfalls alles Gute. Beide Frauen des Hofes kämpften erfolglos gegen ihre Tränen an, von denen Elea am letzten Abend schon genug vergossen hatte, sodass ihre Augen an diesem Morgen trocken blieben. Kaum hatte sie sich ihren Rucksack und Bogen geschultert, klopfte es auch schon an die Tür. Es war ein Stallbursche, der von Jadora geschickt wurde, um Elea abzuholen. Sie ergriff die beiden Fellbündel und nickte den beiden Frauen zum Abschied nochmals zu. Dann folgte sie
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