Die Traene des Drachen
nickte Elea verständnisvoll zu und gab noch zu bedenken. „Also Maél hat mich die letzten Tage angenehm überrascht, auch wenn er sich immer noch eiskalt und arrogant zeigt. Erst sein für ihn untypisches Verhalten am Abend der Ankündigung und jetzt der Hinweis, dass Ihr dringend einen Heiler benötigen würdet. In ihm scheint eine Wandlung vorgegangen zu sein.“ Elea erwiderte nichts darauf. Sie zog sich noch den Lederriemen mit dem verhängnisvollen Stein über ihren Kopf, legte ihn auf die Frisierkommode und breitete sich splitternackt auf dem Bett aus. Belana zog die Felldecke bis zur aufgeplatzten Brandblase über sie. Ein paar Augenblicke später betrat auch schon Levian das Zimmer mit einem Holzkasten, den er an einem breiten Lederband über der Schulter trug. Belana trat zur Seite, sodass sich der Heiler auf das Bett setzen konnte. Elea ließ den Mann mit geschlossenen Augen und stumm seine Arbeit machen, während die Erste Hofdame aus der Truhe Eleas altes Reisegepäck und ihre Kleider für die Reise herausholte. Anschließend setzte sie sich auf den Stuhl und wartete, bis Levian fertig war. Zum Schluss gab der Heiler Elea noch Anweisungen, wie sie ihre Wunde täglich zu versorgen hatte. Er überließ ihr einen Tiegel, ähnlich wie jener von Breanna, in dem eine grünliche Paste war, von der sie einmal am Tag auf die verbrannte Stelle auftragen und dann vorsichtig eines der sauberen Verbandtücher darauflegen sollte, die er ihr ebenfalls da ließ. Zur Linderung der Schmerzen holte er eine tönerne Flasche aus seiner Heilertasche, in der sich schon fertig zubereiteter Blisenkrautsud befand. Sie nahm sofort ein paar kräftige Schlucke davon. Die Hofdame teilte ihr noch mit, dass sie sie am nächsten Morgen rechtzeitig für den Aufbruch wecken käme. Dann verließ sie sie auch schon mit dem Heiler. Es dauerte nicht lange, da zeigte der Bilsenkrautsud seine Wirkung und entführte Elea in den ersehnten schmerzlosen Schlaf...
In Gedanken versunken fiel ihr Blick plötzlich auf ihren Stein. Es kostete sie große Überwindung, ihn sich wieder umzulegen, aber sie musste es tun. Der Stein war nach allem, was sie zusammen mit ihm erlebt hatte, ein Teil von ihr geworden.
Trotz ihrer vorsichtigen Bewegungen beim Ankleiden waren die Schmerzen so stark geworden, dass ihr der Schweiß auf der Stirn stand. Sie packte noch ihren Rucksack mit ihren übrigen Kleidern, der Paste und den Wundtüchern und steckte wieder ihren Stab in das Seitenfach an seinen alten Platz. Erst dann ließ sie sich erschöpft mit einem Stöhnen auf dem Stuhl vor der Frisierkommode nieder.
Als sie so dasaß, kam sie nicht umhin, sich im Spiegel zu betrachten. Ihr Bluterguss unterhalb ihres linken Auges war so gut wie verschwunden. Auf ihren Wangen waren immer noch schimmernde Spuren des Goldstaubs zu erkennen. Ihr Blick wanderte hoch zu ihrem Haar, das noch immer durch Belanas aufwendiges Geflecht gebändigt war. Sie suchte die Enden des Zopfes und begann, die Haare daraus zu lösen. Es dauerte jedoch eine ganze Weile, bis sie sie befreit hatte, da sie immer wieder eine Pause wegen des Wundschmerzes einlegen musste. Schließlich hatte sie es geschafft. Sie wollte ihren Augen nicht trauen. Es fehlten vielleicht nur noch zwei Handbreit und ihr Haar würde ihr Hinterteil berühren. Nein! So werde ich ganz sicherlich nicht die Reise antreten. Sie öffnete versuchshalber die große Schublade in der Frisierkommode und da sah sie sie: Belanas Schere. Ihr erster Gedanke war, ihr Haar auf der Stelle abzuschneiden. Aber es dauerte nicht lange, da beschlich sie Belana gegenüber ein schlechtes Gewissen. Sie hatte irgendwie das Bedürfnis, es mit ihrem Einverständnis und ihrer Hilfe zu tun. Allerdings wusste sie überhaupt nicht, wie sie sie dazu bringen sollte, ihr das Haar bis zu den Schultern abzuschneiden, wo ihr doch beim Kürzen um einen Fingerbreit bereits das Herz blutete. Sie musste es versuchen. Und falls sie scheitern sollte, musste Jadora herhalten. Er hatte bestimmt in einer seiner vielen Satteltaschen auch eine Schere verstaut. Dann blieb allerdings noch die nicht leicht zu beantwortende Frage, wie sie sich von ihnen entledigen konnte, ohne von Maél dabei erwischt zu werden. Er würde es ihr niemals erlauben. Nein! Sie musste Belana dazu überreden. Es ging kein Weg daran vorbei.
Elea nahm die Schere aus der Schublade, legte sie vor sich auf die Frisierkommode und wartete. Durch das Fenster war noch immer kein Dämmerlicht zu sehen, als
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