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Die Traene des Drachen

Die Traene des Drachen

Titel: Die Traene des Drachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christina Matesic
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schockiert an. Sogar Jadoras Gesicht nahm auf diese Worte hin eine entsetzte Miene an. Die Frau erhob sich jäh vom Boden und schleuderte ihm vorwurfsvoll entgegen: „Was habt Ihr vor?! Wollt Ihr sie jagen wie ein Tier?! Es scheint Euch ja geradezu eine krankhafte Freude zu bereiten, ein junges unschuldiges Mädchen durch den Wald zu hetzen. Was wollt Ihr eigentlich von ihr?“ Maél ließ sich nicht aus der Ruhe bringen und erwiderte nur süffisant: „Ob sie unschuldig ist, wird sich noch zeigen.“ Dabei sah er zu dem jungen Mann hinüber, der sich inzwischen auch schwankend und mit blutverschmiertem Gesicht erhoben hatte, als wollte er sich gleich auf ihn stürzen. Ohne weitere Reaktionen abzuwarten, gab er Jadora, der nach Maels letzten Worten die Luft angehalten hatte, den Befehl, die Familie nicht aus den Augen zu lassen. Daraufhin trat er mit energischen Schritten in die Nacht hinaus, die er schon immer dem Tag vorgezogen hatte.
    Bei seinem Pferd angekommen nahm er zwei dünne Stricke aus seiner Satteltasche heraus, die er in sein Wams stopfte. Dabei berührte er versehentlich den Haarzopf. Er holte ihn hervor und fühlte die Weichheit des Haars mit Zeigefinger und Daumen. Dann sog er noch ein letztes Mal tief den zugleich angenehmen und einzigartigen Duft ein, bevor er den Zopf in seine Satteltasche steckte und mit großen Schritten auf den Wald zu marschierte.
    Obwohl Maél seine Augen nicht auf den Weg heften musste, um anhand der Fußspuren einen Menschen zu verfolgen, hielt er Augen und Ohren auf. Er wollte keine bösen Überraschungen erleben, zum Beispiel einen Pfeil von dem Mädchen in die Brust geschossen bekommen oder versehentlich in eine Grube oder Ähnliches stürzen. Von Zeit zu Zeit verlangsamte er sein Tempo und schloss für ein paar Herzschläge die Augen, um sich besser darauf konzentrieren zu können, die frische Duftspur von älteren zu unterscheiden. Bis jetzt überdeckten sich diese. Sie hatte also den von ihr häufig benutzten Weg gewählt – warum auch immer. Naheliegender wäre es gewesen, wenn sie sich noch einen unberührten Weg durch den Wald gebahnt hätte. Sie konnte ja nicht von seinem übermenschlichen Geruchssinn wissen. Er schüttelte den Gedanken ab, denn er war nicht darauf angewiesen, ihr Handeln vorherzusehen. Ihm genügte ihre Duftspur, die sie hinterlassen hatte, um sie zu finden. Und dass er sie aufspüren würde, daran hegte er nicht den Hauch eines Zweifels.
    Er ging in einen lockeren Trab über, bei dem er ohne Schwierigkeiten dem immer intensiver werdenden Lavendel-Rosen-Duft folgen konnte. Zu seinem Verdruss ertappte er sich immer wieder, wie seine Gedanken zu den Geschehnissen im Haus des Jägers schweiften. So schwer es ihm auch fiel, er musste zugeben, dass die Familie ihm imponierte, vor allem die Frau und das kleine Mädchen. Ungeachtet ihrer Angst erhoben sie das Wort gegen ihn und setzten sich für die junge Frau ein. An Albin gefiel ihm, dass er sich nicht, wie der ältere seiner beiden Söhne, von Hass und Wut zu irgendwelchen Verzweiflungstaten hatte hinreißen lassen, sondern Ruhe bewahrte und jegliche Eskalation vermied. Kellen war vermutlich in das Mädchen verliebt, da er außer sich vor Wut war und ihm unverhohlen seinen Hass entgegenschleuderte. Dass sie nicht seine leibliche Schwester war, hatte er unschwer dem Porträt entnehmen können, das Jadora ihm vor die Nase gehalten hatte. Die Erinnerung an das Bild ließ auf einmal wieder das außergewöhnliche Gesicht des Mädchens vor seinem inneren Auge auftauchen. Er wollte dieses Gesicht aus seinem Kopf verbannen, aber es gelang ihm einfach nicht. Die hellen Augen und ihr Ausdruck, den er nicht deuten konnte, ließen ihn einfach nicht los. Verärgert ging er in ein höheres Tempo über, sodass er vor Anstrengung zu keuchen begann. Sein lauter Atem echote laut in den Wald hinein, was ihn dazu veranlasste, abrupt stehenzubleiben, um seine Atmung wieder zu beruhigen. Auch wenn er wusste, dass sie ihm nicht entkommen konnte, durfte er sie mit ihren außergewöhnlichen Fähigkeiten nicht unterschätzen. Er wollte sie nicht in Alarmzustand versetzen. Er ging wieder ein paar Schritte. Dabei fiel ihm auf, dass die frische, intensivere Spur kaum noch wahrnehmbar war. Er drehte sich um und lief den gleichen Weg eine Weile zurück, indem er wie ein nach Beute suchendes Raubtier ständig links und rechts des Weges nach dem stärkeren Duft schnüffelte. Und in der Tat fand er ihn. Er war wohl, in Gedanken

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